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Gumpertz Die Gumpertz' stammen aus dem Rheinisch-Bergischen Raum.
Joseph Gumpertz wurde 1823 in Nümbrecht/Westerwald geboren. Er heiratete am 6.
5. 1850 in Holten Esther Heymann. Ein anderer Gumpertz, Israel, der auch in die
Heymann-Familie in Holten einheiratete, wurde 1828 in Deutz geboren. Ob die
beiden Gumpertz' verwandt waren, läßt sich nicht nachweisen, ist aber
wahrscheinlich.
Seit dieser Zeit wohnten die Gumpertz' in Holten bei Oberhausen, und auch
ihre Nachkommen haben sich in diesem Raum angesiedelt, so in Sterkrade und in
Ruhrort.
Joseph Gumpertz und Esther geb. Heymann hatten zwei Söhne: Gustav (* 17.
4. 1851 in Holten) und Siegesmund (* 4. 2. 1853 in Holten), außerdem hatte Frau
Esther einen vorehelichen Sohn Daniel Heymann (* 13. 12. 1846 in Holten), der
leider schon früh verstarb.
Siegesmund Gumpertz heiratete in erster Ehe Helene Schönfeld. Von ihr
sind keine Daten bekannt. Sie stammte höchstwahrscheinlich aus dem Großraum
Frankfurt, denn der erste Sohn Sally wurde am 6. 5. 1888 in Dörnigheim
(Maintal) geboren, während die übrigen Kinder Hermann (* 13. 4. 1892), Erna (*
21. 9. 1895), Julius (* 1901) und wahrscheinlich
auch Helen in Holten zur Welt kamen.
Nach dem Tode von Frau Helene heiratete Siegesmund Gumpertz in zweiter
Ehe Bertha Sander (* 3. 10. 1867 in Breslau). Aus dieser Ehe gingen keine Kinder
mehr hervor.
Siegesmund Gumpertz und Frau Bertha sind während der NS-Zeit noch
hochbetagt nach Holland ausgewandert oder geflohen, wahrscheinlich zu der
Familie seines Sohnes Hermann. Beide kamen während der deutschen Besatzung in
das Lager Westerbork. Während Bertha Gumpertz geb. Sander dort am 1. 4. 1943
verstarb (Nr. 101 Standesamt
Westerbork), wurde Siegesmund noch im Alter von neunzig Jahren ins
Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo er am 20. 4. 1943 umgebracht wurde.
Die drei Gumpertz-Söhne Sally, Hermann und Julius waren alle im I.
Weltkrieg Soldat, und Julius nahm 1920 als Freiwilliger am Kampf der
Reichswehrtruppen gegen die Rote Ruhrarmee teil und mußte dabei am 2. 4. 1920
in Voerde sein junges Leben lassen.
Die Söhne Sally und Hermann hatten später mit dem
"Hurra-Patriotismus" nichts mehr im Sinn, denn sie engagierten sich in
der SPD und im Reichsbanner.
Wie unzählige junge Leute ihrer Generation mußten sich Sally und
Hermann Gumpertz nach Kriegsende im zivilen Leben wieder zurechtfinden.
Sally hatte vor dem Krieg anscheinend eine Ausbildung zum Bürokaufmann genossen, denn in dem Adreßbuch des Landkreises Leer von
1926 wird er als Kaufmann in Westrhauderfehn geführt, und 1933 soll er laut
Mitteilung eines entfernten Verwandten, Michael Heymann aus Israel, Prokurist
bei Bamberg & Herz in Köln gewesen sein. Hermann Gumpertz hatte anscheinend
in der Vorkriegszeit Erfahrungen im Produktenhandel gesammelt, denn eine Fell-
und Ledergroßhandlung, wie sie die beiden Gumpertz-Brüder damals in
Rhaudermoor eröffneten, konnte man nicht ohne Sachkenntnis führen.
Warum ließen sich die beiden Brüder ausgerechnet in dem weit entfernten
Rhaudermoor nieder?
Nach dem I. Weltkrieg war das heimische Ruhrgebiet für eine Existenzgründung
denkbar schlecht geeignet. Dort herrschte der Ausnahmezustand, und Teile der
Reichswehr kämpften gegen die Rote Ruhrarmee. Eine Aussicht auf stabile Verhältnisse
war nicht gegeben. Durch Bekanntschaft mit Mitgliedern der weitverzweigten
Familie Meyer aus Sögel, die Verwandte in Ruhrort, Duisburg und Wesel hatten,
lernte Hermann Gumpertz den Onkel seiner Braut Adele, den Viehhändler Samuel de
Levie aus Rhaudermoor kennen. Der war unverheiratet und wahrscheinlich auch kränklich
und bot den jungen Verwandten sicherlich an, zu ihm nach Rhaudermoor zu kommen
und seinen Betrieb zu übernehmen.
Sally und Hermann Gumpertz müssen schon kurz nach Ende des Krieges
dorthin gezogen sein, denn als Hermann am 17. 11. 1919 in Sögel Adele Meyer (*
21. 2. 1897 in Sögel) heiratete, hatte er seinen Wohnsitz bereits in
Rhaudermoor. Leider sind die Einwohnermeldeverzeichnisse von Westrhauderfehn und
Rhaudermoor nicht komplett erhalten, so daß der genaue Zeitpunkt ihres Zuzugs
nicht mehr festzustellen ist. Fest steht jedenfalls, daß Sally in
Westrhauderfehn wohnte und nicht in Rhaudermoor, denn er meldete sich am 23. 5.
1921 dort ab nach Essen / Schornstraße. Zu diesem Zeitpunkt war er noch ledig.
Mittlerweile hatten sich die Verhältnisse im linksrheinischen Raum und
im Ruhrgebiet normalisiert, und Sally versuchte, in seiner Heimat beruflich Fuß
zu fassen, denn der Betrieb in Rhaudermoor erschien wohl nicht geeignet, zwei
Familien und dem ledigen Onkel Samuel de Levie ein angemessenes Auskommen zu
sichern.
Am 15. 5. 1922 heiratete Sally in Sögel Frauke Meyer (* 15. 5. 1885 in
Westrhauderfehn). Sie war die ältere Schwester seiner Schwägerin Adele. Das
junge Paar muß zuerst in Sterkrade gewohnt haben, denn von dort kommend meldete
Sally sich am 22. 3. 1923 wieder in Westrhauderfehn an.
Im Jahre 1923 besetzten französische Truppen wegen ausbleibender
Reparationszahlungen der deutschen Regierung das Ruhrgebiet. An geordnete
wirtschaftliche Abläufe war dort jetzt nicht mehr zu denken. Außerdem
begann 1923 auch die "Inflationszeit", die Kaufkraft der
Reichsmark schwand von Tag zu Tag, gegen Ende des Jahres sogar von Stunde zu
Stunde. Im November 1923 benötigte man 1 Billion Reichsmark, um ein Brot zu
kaufen. Wer vom Lohn oder Gehalt leben mußte, konnte bald seine Familie nicht
mehr ernähren; gefragt waren Sachwerte oder stabile ausländische Währung. Der
Tauschhandel wurde zum bestimmenden Faktor in der Wirtschaft. Für Sally Gumpertz war es jetzt attraktiv, erneut nach Ostfriesland zu ziehen und in den Fell- und Ledergroßhandel seines Bruders Hermann einzusteigen. Nachdem er bei Coob Schoemaker in der 1. Südwieke eine Wohnung gefunden hatte, kam auch seine Frau dorthin. Sie hatte sich zwischenzeitlich bei ihren Eltern in Sögel aufgehalten und meldete sich am 14.6. 1923 unter dem Namen Frieda in Westrhauderfehn an. Dies geschah wohl in Anlehnung an ihre Großmutter, Frouke de Levie geborene Cohen, nach der sie benannt worden war und die im Familienkreis auch "Fredle" gerufen wurde.
Am 18. 4. 1924 stellte sich Nachwuchs ein. Im jüdischen Gemeindezentrum
in der Klosterstraße 81/82 zu Münster kam Tochter Ruth zur Welt und wurde
unter der Nummer 735/1924 beim Standesamt Münster registriert. Da Frau Frieda
schon Ende dreißig war, als sie ihr erstes Kind zur Welt brachte,hatte sie es
vorgezogen, sich zur Entbindung in die Hände von Fachkräften zu begeben. Die
glücklichen Eltern konnten ihre Tochter bald mit nach Hause nehmen und meldeten
sie am 1. 5. 1924 auf dem Einwohnermeldeamt in Westrhauderfehn an.
Die Firma Hermann Gumpertz & Co., wie sie im Adreßbuch des
Landkreises Leer von 1926 genannt wird, betrieb im Inflationsjahr 1923 einen
weitverzweigten Tauschhandel. Es wurde nicht nur mit Fellen, Häuten und
Wildwaren gehandelt, sondern auch mit Altpapier, wie in Anzeigen der damaligen
Tageszeitungen zu lesen ist. Hermann Gumpertz bot dabei seinen Lieferanten
"wertbeständige Zahlung" oder Tauschhandel an. Die Geschäftsbeziehungen
reichten von Ostfriesland über den Raum Friesoythe bis nach Hamburg und Tönning
in Schleswig-Holstein.
Während dieser Zeit muß sich der Betrieb zu einem Unternehmen mit
mehreren Angestellten entwickelt haben. Ali Brinkmann aus Rhaudermoor,
der später ein Gemischtwarengeschäft gegenüber der Vereinswieke führte,
absolvierte bei Gumpertz seine Ausbildung. Er berichtete, daß die Felle überwiegend
bei hiesigen Schlachtern aufgekauft und von dem damaligen Spediteur Johann Plümer
mit Pferd und Wagen abgeholt wurden. Gelagert wurden sie in einem Schuppen neben
dem Hinterhaus, mit reichlich viel Geruch, bis die Menge ausreichte, um einen
Waggon von der Kleinbahn Ihrhove-Westrhauderfehn damit zu bestücken. Die
Abnehmer waren meistens Gerbereien, von denen Gumpertz' dann oft wieder Leder
bezogen, das im Vorderhaus an Sattler und Schuster verkauft wurde. Das Zubehör
für ihre Werkstatt konnten diese Handwerker hier auch gleich erwerben.
Neben dem Lehrling Ali Brinkmann wurde auch noch der Lehrling
Adolf Voskamp ausgebildet.Er hatte später einen Land- und Brennstoffhandel in
Rajen. Conny Jacobs war als Reisender für die Firma Gumpertz & Co. tätig,
und dann gab es dort auch noch einen Herrn Woltermann. Im Büro wurde ein
Buchhalter beschäftigt; Anfang der dreißiger Jahre war das Hermann Meyer aus
Holte, vorher soll Anton Heger aus Collinghorst dort gearbeitet haben. Während
der Aufbauphase um 1920 hat sicherlich auch der Onkel Samuel de Levie noch sein
Know-How und seine Handelsbeziehungen zu den Schlachtern und Landwirten mit in
die Firma eingebracht, denn der Übergang vom Viehhandel zum Fell- und Ledergroßhandel
vollzog sich wahrscheinlich gleitend. Bis zum 4. 3. 1921 war jedenfalls noch der
Vetter seiner Frau Adele, der Schlachter Gottfried Müller aus Emden, im Hause
Gumpertz wohnhaft und wahrscheinlich auch im Betrieb tätig.
Am 31. 8. 1924 starb Samuel de Levie nach längerer Krankheit. Mit einer
Todesanzeige im Generalanzeiger lud Hermann Gumpertz in Namen der Familienangehörigen
zur Beerdigung am 3. September vom Trauerhause in der Rhauderwieke aus nach Leer
ein. Wie Günter Graepel berichtete, begleiteten die Trauergäste den Sarg in
der Regel mit der Kleinbahn zum jüdischen Friedhof nach Leer am Schleusenweg. In den Jahren 1925/26 muß die Firma Hermann Gumpertz & Co. in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sein. Ein drohender Konkurs wurde aber glücklicherweise durch ein Geschäftsaufsichtsverfahren über das Vermögen der Firma sowie über das persönliche Vermögen der beiden Inhaber Sally Gumpertz und Hermann Gumpertz abgewendet. Ein solches Geschäftsaufsichtsverfahren wurde zu Beginn des I. Weltkriegs geschaffen zum Schutze der Kriegsteilnehmer. Es entsprach unserem heutigen Vergleichsverfahren. Unter diese Regelung fielen auch Hermann und Sally Gumpertz, weil sie beide Weltkriegsteilnehmer gewesen waren. Laut dem Öffentlichen Anzeiger zum Amtsblatt der Regierung Aurich vom 17. Juli 1926 wurde durch Annahme des Vergleichs am 3. Juni 1926 die Geschäftsaufsicht vom Amtsgericht Leer am 30. Juni 1926 aufgehoben. Die Firma, die die Erwerbsgrundlage für die Familien der beiden Gumpertz-Brüder und mehrerer Angestellten bildete, war noch einmal gerettet.
Hermann Gumpertz und Adele geb. Meyer hatten drei Kinder, die alle in
Rhaudermoor geboren wurden: Helene (* 1. 10. 1920) wurde nach Hermann Gumpertz'
Mutter Helene Gumpertz geb. Schönfeld benannt und Beate (* 28. 7. 1925)
offensichtlich nach Frau Adeles Mutter Betje oder Bertha Meyer geb. de Levie in
Sögel. Am 12. 1. 1931 wurde Sohn Manfred geboren, doch er verstarb schon nach
knapp zwei Monaten am 5. 3. 1931 in Rhaudermoor. Er ist wahrscheinlich auch auf
dem Friedhof in Leer am Schleusenweg beerdigt worden, doch die Grabsteine der
Kindergräber dort sind in der NS-Zeit alle unleserlich gemacht worden, so daß
man sie heute nicht mehr zuordnen kann.
Solange die beiden Töchter noch klein waren, wurden sie von Gretchen
Kuipers (später: verheiratete Deters) aus der Jürgenaswieke betreut. Sie war
etliche Jahre als Kindermädchen im Hause Gumpertz und lernte auch viele
Verwandte der Familie kennen. In Emden wohnte Hermann und Sallys Schwester Erna.
Sie hatte sich Anfang der zwanziger Jahre mit Adeles Vetter Gottfried Müller
verheiratet; ihr Sohn Paul kam am 24. 2. 1927 in Emden zur Welt. Einmal war
Gretchen mit zu einer Hochzeit bei der Familie Meyer in Sögel, eine ganze Woche
lang wurde damals gefeiert, und für jeden Tag gab es besondere
Essensvorschriften.
Am 20. 4. 1927 wurde Helene Gumpertz unter der Nr. 329 des Schülerverzeichnisses
in die Volksschule Rhauderwieke aufgenommen. Dort steht auch vermerkt, daß sie
am 27. 12. 1922 gegen Pocken geimpft wurde. Beate Gumpertz wurde Ostern
1932 unter Nr. 441 des Schülerverzeichnisses auch dort eingeschult. Als
Geburtsort ist bei beiden Rhauderwieke eingetragen, was darauf hinweist, daß
die Einwohner der Rhauderwieke es geflissentlich vermieden, als Einwohner von
Rhaudermoor zu gelten. Der Beruf des Vaters Hermann Gumpertz ist in beiden Fällen
mit Kaufmann angegeben.
Leni und Ati - so wurden sie gerufen - hatten viele Spielkameraden in der
Nachbarschaft und auch in der Schule. Besonders beliebt in ihrem Freundeskreis
waren die Kindergeburtstage bei ihnen zu Hause, denn Mutter Adele verstand es,
daraus jedesmal ein besonders festliches Ereignis zu machen. Bei Gumpertz' gab
es eine richtige Geburtstagstorte mit Kerzen, was auf dem Fehn in jenen Jahren
noch nicht üblich war. Noch heute kann man beim Betrachten etlicher Fotos die
fröhliche, unbeschwerte Stimmung nachempfinden, die damals Dini Janssen,
Ohlrich Dupr~ee, Johanne Falk, Berta und Lisa Witzack, Frieda Junior oder auch
Sarene und Gerda Neemann sowie Ingeborg Kallhoff dort mit Leni und Ati zusammen
verbreitet und genossen haben.
Aus ihrer rheinländischen Heimat waren Sally und Hermann Gumpertz es
wahrscheinlich gewohnt, sich auch gesellschaftlich zu engagieren. In
Westrhauderfehn gab es den traditionellen Turnverein "TuRa 07", der
viele prominente Fehntjer Mitglieder hatte. Die Turnerinnen und Turner,
besonders die Ahlers' und Tautes, konnten auf sogar überregionaler Ebene
Erfolge vorweisen. Auch Leni und Ati Gumpertz waren begeisterte Turnerinnen. Nach dem I. Weltkrieg war das Fußballspiel in Deutschland populär geworden. Auch auf dem Fehn fanden sich junge Männer zusammen und bildeten eine Spielvereinigung, die locker mit TuRa 07 liiert war. Die Gebrüder Gumpertz gehörten bald zu den eifrigsten Förderern und ehrenamtlichen Helfern. Sie übernahmen zum Beispiel das Amt des Schiedsrichters und Betreuers. Sie hatten maßgeblichen Anteil am Kauf, Transport und Aufbau der Baracke aus Sedelsberg, die auf dem Fehntjer Marktplatz als Turnhalle hergerichtet wurde und noch heute diese Aufgabe erfüllt.
Der Ehrenvorsitzende von TuRa 07, Wilhelm Luikenga, meint sogar, daß die
Trikotfarben der Spielvereinigung - gelbe Hosen und schwarze Hemden -
von den Gumpertz-Brüdern stammen könnten, denn das seien "jüdische"
Farben. Jedenfalls erklang von den Fans am Spielfeldrand oftmals ein Lied mit
dem Refrain "...alles jubelt, alles lacht, das ist die Mannschaft der
schwarzgelben Tracht!" Nachdem die Spielvereinigung in der NS-Zeit
gleichgeschaltet worden war, verschwanden die schwarzgelben Farben und die
Spieler traten in rotweißen Trikots an.
Um die großen Unkosten decken zu können, die durch den Kauf und die
Herrichtung der Turnhalle entstanden waren, gab der Verein TuRa 07 im Jahre 1929
Aktien zu 50 RM heraus, die mit 4% verzinst und später nach und nach wieder
eingelöst werden sollten. Hermann Gumpertz erwarb auch einen solchen
Anteilschein. Durch die Weltwirtschaftskrise waren die Finanzplanungen des
Vereins aber zum Scheitern verurteilt. Denn als der Landkreis Leer im Jahre 1936
- als Hermann Gumpertz mit seiner Familie schon längst nach Holland geflohen
war - diese Aktie an TuRa 07 zurückverkaufen wollte und am 21. 1. 1936 sogar
einen Pfändungsbeschluß gegen den Verein erwirkte, um auf diese Weise eine
noch offene Gumpertzsche
Krankenhausrechnung zu begleichen, war dieser total überschuldet und
zahlungsunfähig. Fast alle Eigner von Anteilscheinen hatten diese schon ohne
Gegenleistung zurückgegeben und auch auf die Rendite zugunsten des Vereins
verzichtet. Da auch Hermann Gumpertz auf dieser illustren Liste der Fehntjer
Prominenz aufgeführt war, aber nicht mehr verzichten konnte, weil er schon im
Ausland war, kann man davon ausgehen, daß seine Familie zu den "oberen
Zehntausend" gerechnet wurde.
Es gab allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen den Gumpertz'
und den übrigen prominenten Fehntjer Familien bei dem politischen Engagement. Während
die bürgerlichen und intellektuellen Kreise auf dem Fehn eher konservativ
waren, gehörten die Gumpertz-Brüder zur
SPD und zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der
"Kampforganisation" dieser Partei in der Weimarer Zeit. Sie waren
nicht nur einfache Mitglieder, sondern arbeiteten aktiv im Vorstand und als
Deligierte mit. Dieses Engagement resultiert wahrscheinlich zum einen aus der
Tatsache, daß die Gumpertz 'aus einem großstädtischen Umfeld kamen, und es in
den goldenen zwanziger Jahren dort unter jungen Leuten als schick galt,
"links" zu sein. Weit gewichtiger ist aber zum andern sicherlich die
Erkenntnis gewesen, daß im "Ernstfall" nur die liberalen und
demokratischen Parteien wie die DDP, DVP und SPD bereit sein würden, für die
parlamentarische Demokratie und damit für die Minderheitenrechte einzutreten.
Die historische Entwicklung ab 1930 hat ihnen leider recht gegeben.
Wie der derzeitige Ortsvereinsvorsitzende Frank Groeneveld in der Chronik
der SPD-Ortsvereine Ostrhauderfehn und Idafehn berichtet, vertrat Hermann
Gumpertz zusammen mit dem Deligierten Noormann die Kreisverbände Leer und
Weener bei einer überregionalen SPD-Konferenz am 11. Dezember 1931. Weiter
berichtet er, daß Genosse Gumpertz einen Pfingstausflug nach Klosterbusch
organisierte. Der hat wohl hauptsächlich den Kindern gut gefallen, denn Rosa
Schilling geborene Klock konnte sich noch gut daran erinnern.
Auch Gendarmerie-Wachtmeister Tielker aus Collinghorst schrieb im Sommer
1934 in seinem Bericht an den Landkreis Leer, daß Hermann Gumpertz Mitglied des
Reichsbanners war und die SPD auch geldlich unterstützte. Die "früheren
SPD-Führer von Westrhauderfehn" sollen sogar alle Maßnahmen mit ihm
besprochen haben. Davon berichtet auch Johannes Lücht, dessen Vater damals
Reichsbanner-Vorsitzender in Westrhauderfehn war.
Sally Gumpertz war 1. Schriftführer
in der Westrhauderfehner Ortsgruppe des Reichsbanners. Als er am 29. 4. 1928 mit
Frau Frieda und Tochter Ruth Westrhauderfehn verließ und nach München zog,
wurde er von einer Abordnung der Ortsgruppe am Bahnhof in Westrhauderfehn
verabschiedet. Der Volksbote, das hiesige Wochenblatt der SPD, berichtete darüber
am 8. Mai 1928 und bedauerte, daß die Ortsgruppe durch den Fortzug des
Kameraden Gumpertz einen zielbewußten und allzeit bereiten Mitarbeiter verlöre.
Warum Sally Gumpertz sich am 27. 4. 1928 mit seiner Familie beim
Einwohnermeldeamt in Westrhauderfehn mit neuem Wohnort München abmeldete,
wissen wir nicht. Daß die Firma Hermann Gumpertz & Co. kein Betrieb mit großen
Gewinnspannen war, läßt sich schon an dem Vergleichsverfahren 1926 ablesen.
Vielleicht wurde Sally damals ein guter Arbeitsplatz in seiner Branche
angeboten, denn in den Jahren 1925 bis 1928, während der "Stresemann-Ära",
gab es infolge des Dawesplans einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung in
Deutschland, der die Menschen wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken ließ.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 machte dann aber alle Zukunftsträume wieder
zunichte.
Von Sally und seiner Familie
erfahren wir danach kaum noch etwas. 1933
soll er Prokurist bei der Firma Bamberg & Herz in Köln gewesen sein. Das
letzte Lebenszeichen gibt es von Frieda/Frauke Gumpertz geb. Meyer vom 23. 12.
1938, denn an dem Tag hat sie die Erklärung unterschrieben, daß sie ab 1.
Januar 1939 den zusätzlichen Vornamen Sara führen muß gemäß § 2 der 2.
Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen
und Vornamen vom 17. August 1938. Dies ist neben ihrem Geburtseintrag im
Geburtsregister des Standesamtes Rhaudermoor vermerkt. Dieser Vermerk wurde dann
nach der NS-Zeit laut Verordnung vom 16. 2. 1948 am 17. 8. 1959 wieder gelöscht.
Um die Jahreswende 1938/39 lebte die Familie demnach noch in Deutschland.
Bei der Firma Hermann Gumpertz & Co. hat sich die
Weltwirtschaftskrise sicherlich auch auf die Bilanzen ausgewirkt, denn es gab ab
1929 von Jahr zu Jahr mehr Arbeitslose und damit schwindende Kaufkraft bei den
kleinen Leuten und beim Mittelstand. Kaum jemand konnte sich noch einen
Pelzmantel oder modische Lederstiefel leisten; andererseits hatten die
Flickschuster viel zu tun, so daß der Ledergroßhandel durchaus noch Absatzmöglichkeiten
hatte. Jedenfalls war die Firma Hermann Gumpertz & Co. 1933/34, als die
Familie sich nach Holland absetzte, durchaus noch ein solventes Unternehmen,
obwohl die damit befaßten Behörden und Parsteistellen damals verbreiten ließen,
Hermann Gumpertz habe einen völlig maroden Betrieb hinterlassen und sich ins
Ausland davongemacht, damit er wegen seiner Schulden nicht zu belangen sei. Da
er sich gegen diese Verleumdungen nicht mehr wehren konnte, hat sich sein Image
als Schuldenmacher bis heute hartnäckig in den Köpfen vieler Fehntjer
gehalten.
Was Hermann Gumpertz bewog, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen,
waren nicht seine Schulden, sondern die politischen Verhältnisse. Am 30. Januar
1933 war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. Schon gleich im Februar
1933, nach dem Reichstagsbrand, gab es die ersten großen Verhaftungswellen
unter den politischen Gegnern nach vorbereiteten Listen. Als Hitler dann durch
das Ermächtigungsgesetz vom 23. 3. 1933 befugt war, ohne den Reichstag zu
regieren, wurde die
"Gleichschaltung" in Angriff genommen: Juden und mißliebige
Personen wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, KPD, SPD und
Gewerkschaften wurden verboten und ihr Vermögen beschlagnahmt, alle übrigen
Parteien, Verbände und Jugendgruppen lösten sich im Laufe des Jahres 1933
selbst auf oder wurden verboten, nur die Organisationen der NSDAP blieben übrig.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber wurden in der deutschen Arbeitsfront zusammengefaßt,
Juden konnten nicht Mitglieder werden. Künstler und Intellektuelle mußten in
die Reichsschrifttumskammer eintreten, auch hier war kein Platz für Juden. Die
Medien wurden zensiert und ganz in den Dienst der neuen Machthaber gestellt, es
wurde eigens ein Propagandaministerium dafür geschaffen.
Auch hier in Ostfriesland gab es bald die ersten Opfer der NS-Regierung:
Prominente SPD-Lokalpolitiker wie Wilhelmine Siefkes und Louis Thelemann aus
Leer, sowie Hermann Saul aus Heisfelde wurden entlassen, andere wie Ippe
Oltmanns aus Bunde, Karl Mohrmann aus Rajen und Friedrich Geerdes aus Leer
wurden strafversetzt. Der SPD-Reichstagsabgeordneter Hermann Tempel aus Leer und
der Herausgeber des Volksboten, Hans Mozer aus Emden, flohen nach Holland, weil
sie per Haftbefehl gesucht wurden. Selbst in Holterfehn und Idafehn gab es
nachts Razzien bei KPD-Mitgliedern.
Da Hermann Gumpertz schon jahrelang zur Lokalprominenz der SPD und des
Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold gehört hatte und außerdem noch Jude war, schien
es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis man ihn auch "abholte".
Ob am 1. April 1933 anläßlich der Boykottmaßnahmen gegen jüdische
Geschäfte in ganz Deutschland auch vor Gumpertz' Haus in der Rhauderwieke
SA-Posten aufmarschierten, um etwaige Käufer abzuschrecken, ist nicht überliefert.
Offensichtlich ist jedenfalls, daß die Familie Gumpertz gegen Ende des
Jahres 1933 nicht mehr darauf hoffen konnte, daß sich die politischen Verhältnisse
in Deutschland bald wieder ändern würden. Sie zog die Konsequenzen und wagte
einen Neuanfang im Nachbarland Holland. Wann genau die Familie Gumpertz die Grenze nach Holland überschritt,
läßt sich nicht mehr nachvollziehen, da sie sich beim Einwohnermeldeamt in
Rhaudermoor aus verständlichen Gründen nicht abgemeldet hat. Auch hatte
Hermann Gumpertz seine geschäftlichen Belange nicht geregelt, aus diesem Grunde
blieben einige Außenstände offen und mehrere Rechnungen unbezahlt. Es ist auch
nicht mehr festzustellen, ob er zunächst allein ins Nachbarland wechselte, während
seine Familie sich noch bei Verwandten aufhielt, bis er für einen dauerhaften
Aufenthalt dort die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte.
Fest steht jedenfalls, daß die beiden Töchter in der Schule
Rhauderwieke ordnungsgemäß abgemeldet wurden, und zwar Helene am 3. Februar
1934 nach Sögel und Beate am 8. 2. 1934 nach Petershagen. So kann man es im Schülerverzeichnis
unter "Bemerkungen" lesen. Ob sie dann in den angegebenen Schulen auch
wirklich angemeldet wurden, wissen wir nicht.
Etwa Mitte Februar muß Hermann Gumpertz sich in Amsterdam angemeldet
haben, denn schon mit Datum vom 20. Februar 1934 fragt die Fremdenpolizei in
Amsterdam, Het Hoofdbureau van Politie, routinemäßig bei der Polizeiverwaltung
in Leer nach einem Führungszeugnis, auch in politischer Hinsicht, des Hermann
Gumpertz. Die parteilich ausgerichteten Behörden beim Landkreis Leer wurden hellhörig, als sie merkten, daß er ihrem Zugriff entwischt war und berichteten nach Amsterdam, daß er Schulden hinterlassen und Urkundenfälschung begangen habe und außerdem ohne gültige Papiere die Grenze überschritten habe. Daraufhin erwog die niederländische Fremdenpolizei schon, ihn nach Deutschland "zurückzuschieben" Bevor sie sich allerdings zu einem so folgenschweren Schritt entschloß, bat sie die Behöden des Landkreises Leer noch einmal um eine detaillierte Auskunft, denn Hermann Gumpertz hatte zwischenzeitlich erklärt, daß er ein politischer Flüchtling sei und daß seine Verwandten in Deutschland seine Schulden wohl begleichen würden. Als Referenzen für seine Rechtschaffenheit gab er den Schumacher Folli Kirchhoff in der Rhauderwieke und den Viehhändler Alfred Weinberg in Westrhauderfehn an.
Diese gezielte Anfrage der Fremdenpolizei in Amsterdam löste bei den
verschiedenen Dienststellen in Leer und Aurich einen umfangreichen
Schriftverkehr aus, der sich bis zum Juni 1935 hinzog. Nachdem die Amsterdamer
Fremdenpolizei allerdings von der Stellungnahme des Collinghorster Landgendarmen
Tielker vom 18./25. 7. 1934 erfahren hatte, nahm sie von einer Ausweisung des
Hermann Gumpertz nach Deutschland Abstand. Tielker hatte zwar auch von Schulden
bei drei Firmen, bei der Gemeinde Rhaudermoor und bei seinem Buchhalter Meyer
aus Holte berichtet, da diese aber nicht so hoch beziffert waren und durch einen
vollstreckbaren Titel mit den noch laufenden Mieteinnahmen verrechnet werden
konnten, ging man in Amsterdam anscheinend nicht von betrügerischen Absichten
aus. Den Ausschlag gab mit Sicherheit die detaillierte Auskunft des Gendarmen über
die exponierte Stellung des Hermann Gumpertz in der SPD und im Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold auf lokaler Ebene.
Da nunmehr der Landkreis Leer es im Laufe des Sommers 1934 für immer
unwahrscheinlicher hielt, daß eine Ausweisung von Hermann Gumpertz aus Holland
noch erfolgen würde, veranlaßte
der Landrat mit einem Schreiben vom 17. 8. 1934 Gumpertz' ehemalige Hausbank,
die Gewerbe- und Handelsbank in Westrhauderfehn, ihn wegen Betrugs anzuzeigen.
Die Bank hatte zwar bisher gar kein Interesse gehabt, sich jetzt noch mit den
Schulden des geflohenen Geschäftsmannes auseinanderzusetzen, hielt es jedoch
nicht für ratsam, sich mit den "gleichgeschalteten" Behörden
anzulegen. Am 1. Oktober erstattete sie Anzeige, und die Staatsanwaltschaft
Aurich nahm die Ermittlungen auf, allerdings nur halbherzig. Der
Oberstaatsanwalt teilte dem Lankreis Leer am 26. Januar 1935 mit, daß er beim
Amtsgericht Leer einen Haftbefehl gegen Hermann Gumpertz beantragt hätte wegen
Betrugs und schwerer Urkundenfälschung, daß er es aber ablehne, einen
Auslieferungsantrag zu stellen, worauf die Behörden in Leer gedrängt hatten.
Als nun keine Aussicht mehr bestand, seiner habhaft zu werden, stellte
der Landrat in Leer am 20. 3. 1935 beim Regierungspräsidenten in Aurich den
Antrag, dem Hermann Gumpertz die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen, wie
es bei prominenten politischen Flüchtlingen seit April 1933 praktiziert wurde.
In einem solchen Fall konnte man den gesamten inländischen Besitz konfiszieren.
Doch in Aurich hatte man kein Interesse, lediglich ein linientreuer
Sachbearbeiter vermerkte handschriftlich auf diesem Brief: "Ich bemerke, daß
der Jude Gumpertz wie üblich als politischer Flüchtling auftritt, während er
nachweislich ein ganz gemeiner Verbrecher ist. Sollte man solche Fälle nicht
propagandistisch ausnutzen?"
Damit waren die Möglichkeiten des Landkreises Leer erschöpft. Hermann
Gumpertz konnte in Holland bleiben. Da er schon sehr frühzeitig ins Nachbarland
hinüberwechselte, war es ihm sicherlich möglich, dort für sich und seine
Familie eine Existenz aufbauen. Später muß er auch noch seinen alten Vater
Siegesmund und seine Stiefmutter Bertha aus Holten zu sich nach Holland geholt
haben, denn auch sie sind später im Deportationslager Westerbork registriert
worden.
Nach der Besetzung Hollands durch die deutschen Truppen im Mai 1940
wiesen die Besatzungsbehörden schon recht bald alle Verwaltungsdienststellen,
Verbände, Betriebe, Schulen, Kirchen und Vereine an, die Juden auf gesonderten
Listen zu führen. Da dieser Anordnung damals in Holland meistenteils Folge
geleistet wurde, wofür sich viele Holländer heute noch schämen, war es später
kein großes Problem mehr, sie "aufzuholen", nachdem auf der
Wannseekonferenz am 20. 1. 1942 die "Endlösung der Judenfrage"
beschlossen worden war.
Die Juden wurden in das Lager Westerbork nahe der deutschen Grenze unweit
von Assen gebracht. Das Lager war 1939 als zentrales Flüchtlingslager in einem
unwirtlichen Moorgelände entstanden, um die vielen Flüchtlinge aus Deutschland
unterbringen zu können. Als die deutschen Truppen Holland besetzten, wohnten
dort etwa 800 Flüchtlinge, zum größten Teil Juden. Sie hatten keine Möglichkeit
mehr zur Flucht, obwohl es viele noch versuchten.
Das Lager wurde von nun an mit militärischer Disziplin verwaltet, doch
der Kommandant war immer noch ein holländischer Soldat, der dem
Justizministerium unterstellt war. Verglichen mit den Konzentrationslagern in
Deutschland ging das Leben dort noch einigermaßen "normal"
vonstatten. Man durfte zwar das Lager nicht verlassen, es gab wenig zu essen und
die Post wurde zensiert, aber für die Kinder gab es eine Schule, und die
Erwachsenen mußten in der Landwirtschaft oder in einem der vielen Lagerdienste
arbeiten, wie zum Beispiel in der Küche, der Wäscherei, im Krankenhaus, in der
Nähstube oder in der Tischlerei. In der Freizeit wurden kulturelle Abende
organisiert und Sprachkurse besucht.
Ab Februar 1942 wurden viele neue Baracken gebaut, und im Juni desselben
Jahres übernahm dann die SS die Verwaltung. Ein Stacheldrahtzaun und Wachttürme
umgaben das POLIZEILICHE JUDENDURCHGANGSLAGER, wie es jetzt hieß. Alle aus
Deutschland stammenden Juden wurden jetzt hier zusammengezogen, und am 15. Juli
1942 fuhr der erste Güterzug vollgepfropft mit Menschen, direkt aus dem Lager
nach Auschwitz.
Auf diese Weise schafften die deutschen Besatzer die meisten Juden aus
dem besetzten Holland in die Vernichtungslager. Jede Woche fuhren zwei
Transporte, zuerst nach Auschwitz, ab Februar 1943 dann nach Sobibor und ab
Januar 1944 auch nach Bergen-Belsen. Vereinzelt gab es auch Transporte nach
Theresienstadt. Die Lücken, die die Deportierten hinterließen, wurden durch
"Aufholen" der niederländischen Juden aufgefüllt, bis man glaubte,
ein "judenfreies" Land zu haben. Der letzte Transport von Westerbork
ging am 13. September 1944 nach Bergen-Belsen.
Da alle Lagerbewohner registriert wurden und die Listen heute noch
vorhanden sind, kann man die Namen der Deportierten in den Gedenkboeken der
Oorlogsgravenstichting nachlesen. Das Lager ist heute eine Gedenkstätte.
Im Band 13 dieser Gedenkboeken finden wir auch die Mitglieder der Familie
Gumpertz. Helene und Beate wurden schon mit dem Transport am 28. 9. 1942
zusammen mit 608 weiteren Personen - darunter auch Walter Cohen aus der
Rhauderwieke - nach Auschwitz deportiert. Sie starben zwei Tage später, am 30.
9. 1942. Ihre Mutter Adele geborene Meyer schickte man am 11. Mai 1943 nach
Sobibor. Sie wurde dort am 14. 5. 1943 umgebracht. Die Großmutter Bertha
Gumpertz geborene Sander verstarb noch im Lager Westerbork am 1. April 1943 im
Alter von 75 Jahren. Den neunzigjährigen Großvater Siegesmund Gumpertz
schickte man knapp drei Wochen später, am 20. April 1943 nach Sobibor, wo er am
23. 4. 1943 umgebracht wurde. Hermann Gumpertz verstarb am 30. 11. 1943 in Dorohusk (Dorochusk).
Dieser Ort liegt am Bug, etwa 30 km südlich von Sobibor, direkt an einer
Haupteisenbahnlinie am Rande eines Sumpfgebietes. Daß es in Dorohusk ein
Nebenlager von Sobibor gab, ist unwahrscheinlich, denn Sobibor war ein reines
Vernichtungslager. Da dieses Lager laut dem Atlas zur Geschichte von 1978 im
November 1943 aufgegeben wurde und Hermann Gumpertz erst am 30. November 1943
verstarb, ist er vielleicht erst mit dem letzten Transport von Westerbork am 20.
Juli 1943 nach Sobibor gekommen und gehörte zu den wenigen Häftlingen, die für
die "Abwicklung" der Vernichtung in den wenigen Baracken untergebracht
waren. Als dann alles "abgewickelt" war, hat man sie schließlich in
dem Sumpfgebiet umgebracht. Doch das ist nur eine Vermutung.
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