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Die Rhauder Kirche

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Einleitung

Es ist gar nicht so einfach, dieses idyllische Fleckchen Erde am südlichen Zipfel Ostfrieslands zu finden, denn beileibe nicht auf jeder Landkarte ist das kleine 350-Seelen-Dorf Rhaude (Gemeinde Rhauderfehn) eingezeichnet. Aber wer in der Informationsbroschüre Rhauderfehns blättert, erfährt, daß Rhaude die eigentliche Muttergemeinde ist, von der schon zur Zeit Karls des Großen die Rede war.

 "Das Kirchspiel (Pfarrbezirk) wird von zeitgenössischen Geschichtsschreibern als Weihgut bezeichnet, dessen Name Raweck, Roude oder Raude Heimatforscher von der Roten Riede ableiten, die nahe des Ortes vorbeifloß. - Eine andere Deutung geht davon aus, daß Rhaude eine mittelalterliche Rodung in Walde war und Raude oder Roude vom "Roden des Waldes" abgeleitet wurde. Im 17. Jahrhundert ist Rhaude Ausgangspunkt für die ersten Anfänge der Kolonisten in den südlich gelegenen Hochmooren. Bis in das 19. Jahrhundert hinein bleibt das Kirchspiel auch Muttergemeinde und Kirchort für die angrenzenden Moorkolonien und Fehne."

Selbst das morgendliche Schwätzchen, das Dorfpastor Bernd Brand mit seinem Nachbarn führt, wirkt da wie ein Ritual. Im November sind es 26 Jahre her, daß der aus Uesen bei Bremen stammende Seelsorger sein Amt in Rhaude antrat, Rhaude, Holte und Rhaudermoor gehören heute zu seinem Bezirk. Sein Job ist es, "in einer 55-bis 60-Stunden-Woche die ländlich-traditionell geprägte Gemeinde mit Leben zu füllen".

Kirchen-, Posaunen- und Gitarrenchor sind neben einer intensiven Kinder- und Frauenarbeit die Aktivposten. Der Gottesdienstbesuch, so Brand, könne "wie überall anders auch besser sein".

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Die Entstehung der Kirche

  Ein genaues Datum, in welchem Jahr die Kirche erbaut wurde, ist bis heute nicht gefunden worden. Es wird angenommen, daß sie zwischen 1300 und 1350 entstanden ist.

Ursprünglich war das Gotteshaus zu Rhaude, das übrigens keinen Namen hat, eine auf einer kleinen Anhöhe gelegene Wehrkirche, in die sich die Dorfbewohner bei auftauchenden Soldaten und Räuberbanden zurückziehen konnten. Der Überlieferung nach sollen sich die Rhauder und Holter Bürger nicht einig gewesen sein, wo die Kirche gebaut werden sollte. Guten demokratischen Geflogenheiten zufolge habe man schließlich der Bevölkerungsmehrheit, nämlich den Kühen, die Entscheidung überlassen. Zwei davon jagte man aufs Feld, und wo sie sich hinlegen würden, sollte die Kirche entstehen. "Aus Holter Sicht sind die dusseligen Viecher hierher gelaufen", schmunzelt Pastor Brand.

Die Kirche (und der sie umgebende Friedhof) ist auf dem höchsten Punkt in der Gemeinde errichtet worden, was bei dem hohen Grundwasserstand auch absolut nötig war.

In dem zur Kirche gehörenden Turm aus dem 14. Jahrhundert, der als Besonderheit zwei sogenannte Augen hat, befinden sich drei Glocken. Sie sind allerdings relativ neu. Eine davon stammt aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Ein stolzer Schwan weist von weitem auf die lutherische Kirche hin. Der Überlieferung nach soll der tschechische Reformator Jan Hus (* um 1379; verbrannt Konstanz 6.7.1415) gesagt haben, "ihr bratet jetzt einen armes Hus (übersetzt Gans), aber nach mir kommt ein schöner Schwan, den werdet ihr nicht so braten wie mich." Hundert Jahre später reformierte Dr. Martin Luther und es bewahrheitete sich: Es kam der Schwan.

  Die Reformation kam von Holland her. Da bei der reformierten Kirche das Wort Gottes (d. h. die Verkündigung) im Mittelpunkt steht, wurde die Kirche quergerichtet. Sämtliche Bildnisse und Kunstwerke verschwanden mit dem Hinweis, es sei Teufelszeug.Die Bänke stammen aus dem Jahre 1605. Die Querausrichtung ist bis heute beibehalten worden.

 Die Kirche war schließlich auch in den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) verwickelt. Sie wurde untergraben, so daß sie zusammenfiel. Auf diese Weise wurde verhindert, daß sich die Mansfelder hier festsetzten. 1654 ist die Kirche dann auf den alten Grundmauern wieder aufgebaut worden. (Dafür wurden auch in der reformierten Gemeinde zu Bunde Geld gesammelt.)

 Nach dem Dreißigjährigen Krieg war der für diese Gegend zuständige Häuptling lutherisch und so wurde Rhaude eine lutherische Gemeinde. Je nach dem vorhandenen Geld wurde nach und nach die Inneneinrichtung beschafft.

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  Die Kirche, wie sie sich heute zeigt:

Man betritt die Anlage, indem man durch den Turm schreitet: "Wichtig an der Anlage ist, daß man durch den Turm auf den Friedhof tritt - und damit seine Sorgen, die einen im Alltag bedrängen, vor der Tür läßt", heißt es in einem Faltblatt zur Kirche. Und man bekommt in der Tat das Gefühl, als trete man in einen anderen "Bereich" ein. Auch, weil schon im Turm die Augen zu schweifen beginnen. 

 Auf dem Friedhof von Rhaude zeugen Gräber davon, daß polnische Soldaten im April 1945 hier in der Gegend in einen Hinterhalt geraten und in den Tagen des 24., 25. und 27. April gefallen sind. Es soll das einzige polnische Gefallenengrab in Westeuropa sein, auf dem Helme mit polnischem Adler vor dem Grabstein liegen. Die Gräber werden von der Gemeinde gepflegt.

Bei dem Gotteshaus handelt es sich um eine einschiffige Kirche mit Apsis (halb-runder Chorraum), dem ältesten Teil der Kirche. Die Fenster mit ihren Rundbögen lassen auf die Epoche der Romanik schließen. Die Form indessen ist gotisch, so daß die Apsis in der Zeit des Umbruchs von der Romanik in die Gotik entstanden ist. Gotische Malerei in Form von Abbildungen der Apostel entdeckt der Kirchenbesucher, wenn sein Blick in Richtung Orgel fällt.

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Die Apsis

 Die Apsis (Altarraum) ist der älteste Teil der Kirche. Das Rundbogengewölbe und die Rundbogen in den Fenstern verraten ihre romanische Herkunft. Die Form der Apsis ist aber schon gotisch. Der Bau stammt damit aus einer Zeit vor 1300 (vermutlich zwischen 1250 und 1300). Urtümlich sind die Dachziegel (Mönch und Nonne). Alt ist der aus Klosterformat-Steinen errichtete Altar und die Malereien - links das Symbol mit Kreuz bezeichnet die Nische, in der in katholischer Zeit der Leib und das Blut des Herren aufbewahrt worden sind - rechts sehen wir das Weihekreuz des röm. kath. Bischofs.

 

 

 

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Die Inneneinrichtung im Einzelnen:

Bei einer Renovierung der Rhauder Kirche wurden  mittelalterliche Wandmalereien auf dem Orgelboden, also an der Wand zur Apsis hin, freigelegt und erneuert. 

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Der Altar

 Der Altaraufsatz ist neu (frühes 18. Jahrhundert). Es ist ein typischer lutherischer Altar mit dem Abendmahlsbild in der Mitte. (Wenn der Pastor das Abendmahl austeilt, fungiert er als Handlanger Jesu und nimmt die Gemeinde mit in den Jüngerkreis hinein.) Über dem Abendmahlsbild thront Gott Vater mit der Weltkugel. Unter dem Abendmahlsbild sind die Evangelisten abgebildet.

 Die Altarflügel erzählen die Weihnachtsgeschichte. Links oben sehen wir die Ankündigung der Geburt Jesu, darunter die Anbetung der Hirten. Auf der rechten Seite oben ist die Beschneidung dargestellt, darunter die Weisen aus dem Morgenland.

 Das Bergkristallkreuz stammt aus den Sechziger Jahren unseres Jahrhunderts aus dem Weserbergland - der Leuchter ist eine Erzgebirgsarbeit und ein Geschenk unserer Patengemeinde Lippendorf.

Auf der Altarbild-Rückseite befindet sich eine Liste aller Rhauder Pastoren.


Das Kirchenschiff

 Das Kirchenschiff ist ursprünglich gotisch (die Malereien hinter der Orgel und das Fenster hinten rechts zeigen das). Das Kirchenschiff ist in der Zeit zwischen 1300 und 1350 gebaut worden. Ursprünglich war die Ostwand bemalt. Die Apostel sind in den Nischen noch zu sehen. Hinter der Orgel befindet sich ein Bild von Christus im Strahlenkranz (d. h. von Christus, der die Welt überwunden hat). Der Altarraum durfte nur vom Priester betreten werden - die bemalte Ostwand, vor der die Gemeinde stand, nannte man Lettner.

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Die Außentür

Zu den Besonderheiten zählt die Außentür aus dem Jahre 1712. (Umschrift: Hielig ist die Stette, hie ist nichts anders denn Gottes Haus, hie ist die Pforte des Himmels (1. Mose 28 Vers 17) - sowie  in  der Tür: Gehet ein durch die enge Pforte (Matthäus 1, Vers 13a). Der Meister, der diese Tür gefertigt hat, stammt aus Holte. Auch der   Kollektenkasten am heutigen Ausgang gehört zu dieser frühen Ausstaffung. Er trägt die Jahreszahl 1716. Er dient heute dazu, Geld für die Gemeindearbeit einzusammeln. - Die Liedtafeln tragen die Jahreszahl 1747.

 

 


Die Orgel  

Die alte Orgel stammt aus der Werkstatt des Wittmunder Orgelbaumeisters Johann Friedrich Constabel (1730-1762) und wurde 1756 beschafft. Es war eine typisch ostfriesische Orgel mit acht klingenden Registern und einem angehängten Pedal. Damit der Dorfschulmeister auch Baßtöne zur Verfügung hatte, war das Trompetenregister geteilt, d. h., man konnte die hohen und die tiefen Töne getrennt ziehen. 1930 wurde die wertvolle Orgel verschrottet und an ihre Stelle trat ein Werk von Herrn Wetze aus Hannover (Röhrenpneumatik und Taschenladen). Dieses sehr anfällige Werk hat nur 50 Jahre gehalten. 

Seit 1986 ist in das sehr sorgfältig restaurierte Gehäuse eine Orgel von der Firma Hillbrand aus Altwarmbüchen bei Hannover eingehaut. Es hat acht klingende Register im Hauptwerk und für das Pedal eine Subba.


 Die Leuchter tragen die Jahreszahl 1793 (am vom Pelmüller Johann Jansen Steenblock und seiner Ehefrau Hische Folrichs aus Holte gestifteten Leuchter abzulesen.)

Mehr über die Familie Steenblock finden Sie hier.

 

 

 Die reichlich verzierte Kanzel kam im Jahre 1796 aus der Werkstatt von Herrn Hesenius aus Loga (heute ein Stadtteil von Leer). Es ist eine lutherische Kanzel (an den Figuren der Evangelisten zu sehen). Die damalige Kunstepoche nannte man Rokkoko (zu sehen an den stilisierten Muscheln an der Kanzel). An den Streben ist die Weinrebe abgehildet. (Jesus spricht: "Ich hin der Weinstock, ihr seid die Reben ...  ohne mich  könnt ihr nichts tun"!)  Der Engel mit der Posaune ruft Gottes Friedensreich aus, das mit  Christus gekommen ist.

 

 

Der Taufstein stammt aus der gleichen Zeit - aber aus einer anderen Werkstatt. Er ist versetzbar - was bis heute sehr hilfreich ist. Die Schale aus Silber trägt an der Unterseite die Gravur "27.7.1969, R+M Janssen". Sie zeigt eine Talk und die Umschrift: "Bei dir ist die Quelle des Lebens". Die Vorgängerschale - ein industriell gefertigtes Massenprodukt - hängt neben der Kanzel an der Wand.

Zu den Bildern an der Wand: An der Wand unter der Orgel befinden sich ein hölzerner Grabrahmen und ein Grabstein (Grabplatte), die erzählt, dass in der Kirche der Rittmeister Bunger aus Holte mit seiner Ehefrau im Jahre 1654 in der Kirche beerdigt worden ist.

Mehr dazu erfahren Sie hier:

 

 

 

 Rechts neben der Kanzel befindet sich eine Gedenktafel, die anläßlich des dritten Gedächtnisfestes der gereinigten Religionslehre der Augsburgischen Konfession im Jahre 1830 gestiftet worden ist.

 Rechts und links neben der Eingangstür befinden sich Darstellungen von Christi Tod und Auferstehung. Die Bilder sind auf Papier gemalt und stammen aus der Zeit der Jahrhundertwende.

 Gegenüber an der Orgelempore befindet sich ein Lutherbild, gemalt von Carl Schendel aus dem Rajen. Als Vorlage hat ein Bild von Lukas Cranach dem Älteren gedient. Das Bild stammt aus dem Jahre 1985 und ist eine Stiftung der Gemeinde.

 Gegenüber der Kanzel hängen die Gedenktafeln für die Gefallenen aus dem Krieg Bismarcks gegen Frankreich (1870-72) und dem Ersten Weltkrieg. Unter der kleineren Tafel hängt ein Medaillon, das ein Geschenk unserer Patengemeinde Wang in Karpacz an der Schneekoppe ist. Es zeigt den gekreuzigten Christus und sagt damit in diesem Zusammenhang aus: "Wer einen Krieg beginnt, kreuzigt Christus wieder!" Der Blutstropfen aber macht deutlich, daß wir nur durch Christi Blut gerettet sind. Es ist also ein Zeichen der Mahnung und des Trostes zugleich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick vom Altar (in der Apsis) in den Kirchensaal.

 

 Es ist bekannt, dass die Bänke von 1605 datieren. Sie dürften die älteste  Einrichtungsgegenstände sein und stammen noch aus der alten, abgerissenen Kirche.   Die Liedtafeln stammen aus dem Jahre 1747.

 

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 Der Windfang

 Der Windfang ist um die Jahrhundertwende an die Kirche angebaut worden (wohl damit es im Winter nicht so kalt unter der Tür hindurchzog). Das Buntglasfenster zeigt den sinkenden Petrus. Dem Zeitgeschmack entsprechend hat es außen einen Rahmen aus Kunststein.

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Quellen: "RHAUDE - Wo die Kirche noch im Dorfe steht", von Reinhard Former im Ostfrieslandmagazin, Norden, Ausgabe 9/97, S. 8ff:; ein Faltblatt der Rhauder Kirchengemeinde mit Fotos und Texten von Herrn Pastor Brand..