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Das Pfarrhaus im Moor 2.
Die Hochzeitsreise nach dem Hochmoor Schon
lange vor unserem Hochzeitstag, der auf den 20. Dezember 1889 fiel, hatte es
anhaltenden Regen gegeben. Die Natur zeigte unseren hochzeitlichen Gefühlen ein
wenig freundliches Gesicht. Doch nein, nicht die Natur, sondern wir allein
hatten die Schuld, daß nicht lieblicher und häufiger die Sonne schien, wir,
die wir auch eine solche späte Jahreszeit gewählt hatten zu unserem Ehrentag.
Doch die junge, neugegründete Gemeinde hatte vor einigen Wochen gar große
Eile, endlich ihren ersten Pfarrer in ihre Mitte zu bekommen, und jetzt zeigte
derselbe einen ebenso großen Eifer, um sich seine eigene und der Gemeinde eine
Pfarrfrau zu holen, ganz gleich, ob diese Zeit den lieben Anverwandten auch paßte,
ob sie in dem geschäftigen, eiligen Weihnachtsmonat auch noch Zeit, Lust und
Sinn hatten für die Abhaltung und Zurichtung einer Hochzeit. "Er"
hatte den 20. Dezember gewünscht, und sie alle flogen und waren bemüht, bis
ins kleinste hinein alles zu versorgen, trotz des strömenden Regens, unter
dessen Zeichen unser Hochzeitstag stand, und der mir später noch sehr viel
Staunen, ja fast Schrecken einjagen sollte. Nach
einer langen und meist langweiligen Eisenbahnfahrt näherten wir uns endlich der
kleinen Station [Stickhausen], welche die letzte für uns diesmal sein sollte
und die dreieinhalb Wegstunden von dem neuen Heimatort entfernt war. Das Herz
schlug mir, je näher wir demselben kamen, je höher. Wie, wie wird alles sein,
und wie wirst du dich zurechtfinden, in der neuen, noch so unbekannten Umgebung?
Mit vielen Fragen kam ich bei meinem in allen Sachen recht schweigsamen Manne
nicht an, und als ich einmal ganz schüchtern nach Art und Sinn der neuen
Nachbarn und Pfarrkinder frug, erhielt ich die auf echt norddeutsche Weise
treffende Antwort: "Das wirst du ja sehr bald selber am besten sehen und
kennen lernen." Damit blieb ich vorerst vor des Rätsels Lösung stehen,
und fragte so leicht, vollkommen überzeugt von der Richtigkeit dieser Antwort,
nicht wieder. Als wir
den Zug verlassen hatten, trat ein hochgewachsener breitschultriger Mann auf uns
zu. Es war einer der Kirchenvorsteher, der uns mit einem kurzen, aber
freundlichen Wort begrüßte und auf dem Weg zum Wartesaal meinte: "So, dat
is nu also hör Fro, Herr Pastor." Über das, was diese Worte alles in sich
schließen könnten, nachzudenken, blieb mir keine Zeit, denn ein mit
Tannengirlanden festlich geschmückter Wagen wartete auf uns, den wir auch sehr
hastig bestiegen, denn der strömende Regen hinderte uns, unserer Freude und
Bewunderung über diesen sinnigen Gruß lange freien Lauf zu lassen. So fuhren
wir hinein in die Fremde, die uns die Heimat werden sollte. Als wir
ein gut Stück gefahren waren, konnte ich meine Neugier nicht mehr bezwingen,
ich mußte die dicken Hüllen, die über den Ausguck des ziemlich hohen,
halboffenen Wagens des entgegenkommenden Regens halber gehangen waren, ein wenig
lüften, um von Gegend und Wetter etwas zu sehen. Wie erstaunte ich, als rechts
und links vom Wege, den wir fuhren, große, weite Wasserflächen waren, aus
denen ab und zu Bäume und Sträucher hervorragten. Welch mächtige Seen dachte
ich bei mir, zwischen denen sich die Landstraße wie ein Damm hinzieht. Wie
bewegt war das Wasser bei diesem Sturm, denn Sturm, nicht nur Wind, war es, der
mich hier empfangen hatte, Nordwind, so heftig wie man ihn im Binnenlande kaum
kennt. Und jetzt begann ich ununterbrochen Ausschau zu halten nach allen Seiten hin, ich
wollte sehen, wann das Ende dieser mächtigen Landseen käme. Nun, ich sollte
lange warten, bald schien es mir, als würden sie seichter, und schmale Landstreifen tauchten auf wie kleine Inseln.
Sonderbare Seen dachte ich. Wir fuhren weiter und weiter. Gar zu schnell konnte
das Pferd nicht laufen, denn der kalte Wind peitschte auch ihm den unaufhörlich
niederströmenden Regen entgegen. Wir fuhren nur im Schritt, und ich fand so
Zeit und den Mut, nach der Ausdehnung der großen Seen zu fragen. Doch wie
groß war meine Überraschung, zu hören, daß es keine ständigen Seen, sondern
nur die alljährlichen Landüberschwemmungen wären, die von den Flüssen kurz
vor ihrer Mündung ausgingen, und dem Lande den fruchtbaren Flußsand, Schlick
genannt, brächten. Ich staunte. Doch später bei der eintretenden Finsternis,
als wir unterwegs einmal halt machten, und ich hörte, daß wir ten des Wassers wegen, wurde mir angst und bange.
[Vermutlich: von Potshausen über Holte nach Westrhauderfehn.] Zagend fragte ich
mich, wann wohl so viel Land sichtbar werden würde, groß genug, um Haus, Hof
und Leute unseres Heimatortes fassen zu können, und schweigsam verkroch ich
mich in eine Ecke des Wagens. Meine Neugier und Fragelust war vergangen. Die
letzte Strecke des Weges war fast unfahrbar, nach rechts und links schwankte der
Wagen, hoch spritzte das Wasser der durchfahrenen Pfützen, die Wagenräder
schnitten tief ein, ich ahnte, daß es Moorwege waren. |
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