Home ] 100 Jahre ] Die Pastoren von Ostrhauderfehn ] Friedhof Ostrhauderfehn - 1833 ] Der erste Kirchendiener- 1890 ] Das Pfarrhaus im Moor ] 1945 ] Goldene Konfirmation ]


Das Pfarrhaus im Moor

2. Die Hochzeitsreise nach dem Hochmoor  

   Schon lange vor unserem Hochzeitstag, der auf den 20. Dezember 1889 fiel, hatte es anhaltenden Regen gegeben. Die Natur zeigte unseren hochzeitlichen Gefühlen ein wenig freundliches Gesicht. Doch nein, nicht die Natur, sondern wir allein hatten die Schuld, daß nicht lieblicher und häufiger die Sonne schien, wir, die wir auch eine solche späte Jahreszeit gewählt hatten zu unserem Ehrentag. Doch die junge, neugegründete Gemeinde hatte vor einigen Wochen gar große Eile, endlich ihren ersten Pfarrer in ihre Mitte zu bekommen, und jetzt zeigte derselbe einen ebenso großen Eifer, um sich seine eigene und der Gemeinde eine Pfarrfrau zu holen, ganz gleich, ob diese Zeit den lieben Anverwandten auch paßte, ob sie in dem geschäftigen, eiligen Weihnachtsmonat auch noch Zeit, Lust und Sinn hatten für die Abhaltung und Zurichtung einer Hochzeit. "Er" hatte den 20. Dezember gewünscht, und sie alle flogen und waren bemüht, bis ins kleinste hinein alles zu versorgen, trotz des strömenden Regens, unter dessen Zeichen unser Hochzeitstag stand, und der mir später noch sehr viel Staunen, ja fast Schrecken einjagen sollte.

   Nach einer langen und meist langweiligen Eisenbahnfahrt näherten wir uns endlich der kleinen Station [Stickhausen], welche die letzte für uns diesmal sein sollte und die dreieinhalb Wegstunden von dem neuen Heimatort entfernt war. Das Herz schlug mir, je näher wir demselben kamen, je höher. Wie, wie wird alles sein, und wie wirst du dich zurechtfinden, in der neuen, noch so unbekannten Umgebung? Mit vielen Fragen kam ich bei meinem in allen Sachen recht schweigsamen Manne nicht an, und als ich einmal ganz schüchtern nach Art und Sinn der neuen Nachbarn und Pfarrkinder frug, erhielt ich die auf echt norddeutsche Weise treffende Antwort: "Das wirst du ja sehr bald selber am besten sehen und kennen lernen." Damit blieb ich vorerst vor des Rätsels Lösung stehen, und fragte so leicht, vollkommen überzeugt von der Richtigkeit dieser Antwort, nicht wieder.

   Als wir den Zug verlassen hatten, trat ein hochgewachsener breitschultriger Mann auf uns zu. Es war einer der Kirchenvorsteher, der uns mit einem kurzen, aber freundlichen Wort begrüßte und auf dem Weg zum Wartesaal meinte: "So, dat is nu also hör Fro, Herr Pastor." Über das, was diese Worte alles in sich schließen könnten, nachzudenken, blieb mir keine Zeit, denn ein mit Tannengirlanden festlich geschmückter Wagen wartete auf uns, den wir auch sehr hastig bestiegen, denn der strömende Regen hinderte uns, unserer Freude und Bewunderung über diesen sinnigen Gruß lange freien Lauf zu lassen. So fuhren wir hinein in die Fremde, die uns die Heimat werden sollte.

   Als wir ein gut Stück gefahren waren, konnte ich meine Neugier nicht mehr bezwingen, ich mußte die dicken Hüllen, die über den Ausguck des ziemlich hohen, halboffenen Wagens des entgegenkommenden Regens halber gehangen waren, ein wenig lüften, um von Gegend und Wetter etwas zu sehen. Wie erstaunte ich, als rechts und links vom Wege, den wir fuhren, große, weite Wasserflächen waren, aus denen ab und zu Bäume und Sträucher hervorragten. Welch mächtige Seen dachte ich bei mir, zwischen denen sich die Landstraße wie ein Damm hinzieht. Wie bewegt war das Wasser bei diesem Sturm, denn Sturm, nicht nur Wind, war es, der mich hier empfangen hatte, Nordwind, so heftig wie man ihn im Binnenlande kaum kennt. Und jetzt begann ich

ununterbrochen Ausschau zu halten nach allen Seiten hin, ich wollte sehen, wann das Ende dieser mächtigen Landseen käme. Nun, ich sollte lange warten, bald schien es mir, als würden sie seichter,

und schmale Landstreifen tauchten auf wie kleine Inseln. Sonderbare Seen dachte ich. Wir fuhren weiter und weiter. Gar zu schnell konnte das Pferd nicht laufen, denn der kalte Wind peitschte auch ihm den unaufhörlich niederströmenden Regen entgegen. Wir fuhren nur im Schritt, und ich fand so Zeit und den Mut, nach der Ausdehnung der großen Seen zu fragen.

   Doch wie groß war meine Überraschung, zu hören, daß es keine ständigen Seen, sondern nur die alljährlichen Landüberschwemmungen wären, die von den Flüssen kurz vor ihrer Mündung ausgingen, und dem Lande den fruchtbaren Flußsand, Schlick genannt, brächten. Ich staunte. Doch später bei der eintretenden Finsternis, als wir unterwegs einmal halt machten, und ich hörte, daß wir

ten des Wassers wegen, wurde mir angst und bange. [Vermutlich: von Potshausen über Holte nach Westrhauderfehn.] Zagend fragte ich mich, wann wohl so viel Land sichtbar werden würde, groß genug, um Haus, Hof und Leute unseres Heimatortes fassen zu können, und schweigsam verkroch ich mich in eine Ecke des Wagens. Meine Neugier und Fragelust war vergangen. Die letzte Strecke des Weges war fast unfahrbar, nach rechts und links schwankte der Wagen, hoch spritzte das Wasser der durchfahrenen Pfützen, die Wagenräder schnitten tief ein, ich ahnte, daß es Moorwege waren.  

weiter