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Das Pfarrhaus im Moor 7.
Kummervolle Zeiten Doch das
Glück und die Freude über seine Kraft und Gesundheit halfen über alle Berge
hinweg, und nach einigen Wochen stand der Lehnstuhl wieder glücklich an seinem
alten Platz, der Kinderwagen dagegen drüben am offenen Herdfeuer. Der kleine
Weltbürger darin wurde schon früh gedrillt, sich im Hause still zu verhalten,
um den Vater nicht zu stören, der in weiser Vorsicht seine Hauptarbeitsstunden
auch darum auf den Abend und die halbe Nacht verlegte, wo sein Prinzchen einen
festen und langen Schlaf hatte. Es merkte nichts davon, wenn es gegen
Mitternacht behutsam in den Schlaf- resp. Stu-dierraum geschoben wurde, und
schlief sich gottlob auch in dem mit Pfeifenrauch gefüllten Nachtquartier groß.
Im Sommer stand der Kinderwagen den ganzen Tag im Freien, und als ein neuer
Dezember dies Jahr mit eisiger, harter Strenge einzog, war das Baby schon ein
ruhig sitzendes und spielendes Kind von dreiviertel Jahren. Es war schon das
dritte Mal Dezember geworden. Schon zwei Jahre vorbei, gelebt und glücklich
gewesen in unserem uns lieb gewordenen Pfarrhaus im Moor. Das Leben
hatte auch bei uns einen bald gewohnten Gang angenommen, ohne daß wir die früher
gewohnten, uns jetzt fast luxuriös erscheinenden Annehmlichkeiten und Bedürfnisse
des Lebens sonderlich entbehrt hatten. Und doch, und doch! Es sollte eine Zeit
kommen, wo man sich nach Besserem sehnte. Es war die schreckliche Zeit des
Krankseins. Genügte das provisorische Pfarrhaus in gesunden Tagen, wo wir, um
frische Luft zu haben, zwar keines der festgeschlossenen, aus einem Rahmen
gezimmerten Fenster ohne Flügel und Klappen aufmachen, so aber doch schnell ins
Freie gelangen konnten, so machten die dichten Fenster sich doch in Zeiten der
Krankheit als großer Mangel bemerkbar, und auch die arge Feuchtigkeit des
Hauses war in kranken Tagen weit fühlbarer als sonst. Wie betont heutzutage die
moderne Hygiene doch gerade frische Luft in allen Räumen als Haupt-Heilfaktor
bei allen Nervenleiden. Und Nervenschwäche war es, die bei meinem Mann durch Überarbeitung
und eine siebenwöchige Hungerkur, bedingt durch einen Magenkatarrh zu einer
Plage wurde, die ihn an der Ausübung seiner Pflicht hemmte. Es kam
eine schwere, bedrängte Zeit für den Kranken und - seine Umgebung. Die vier Wände
wurden uns allen zum ersten Mal überall zu eng. Glücklich dann, wenn der
Kranke durch eine Stunde Schlaf Ruhe und Stärkung fand, gleichviel zu welcher
Tageszeit dies war, wurde ängstlich auch der kleinste Lärm zu vermeiden
gesucht, alle Arbeiten in Küche und Haus sofort eingestellt und die treue Magd
eilte mit dem schreienden, lärmenden Kinde sogleich ins Freie, wo es verwundert
weiterspielen durfte. Kleine und große Ereignisse dazwischen sollten Schrecken
und Sorge erhöhen. Nachdem im Befinden meines Mannes nach langem etwas
Besserung eingetreten war, und ich nach wochenlangem Aufenthalt im Krankenzimmer
endlich einmal wagen durfte, auf einige Stunden auszugehen, machte ich mich,
allerdings bei heftigstem Sturm, auf den Weg, neue Arznei aus der fernen
Apotheke (Westrhauderfehn) zu holen. Als ich
nach zweistündiger Abwesenheit mich wieder unserem Hause näherte, sah ich
schon von weitem unser Mädchen mit dem zappelnden Kinde auf dem Arm vor dem
Hause auf- und abgehen. Der Gedanke: Es ist schlimmer mit deinem Mann,
durchzuckte sofort mein Herz, und schon von einiger Entfernung aus rief ich um
Aufklärung. Des Mädchens klägliches Gesicht, der Ton und die so nichts und
doch so viel sagende Rede der Magd: "Ach, ik dür hör't gar nicht
sagen", versetzte mich in große Erregung. Als wir dem Hause näher kamen
und ich immer dringender das Mädchen um Aufklärung bat, sagte es unter Tränen:
"Ach, Frau Pastorin, uns Achterköken de brannt, und ik mochte es Herr
Pastor nicht sagen, denn de slöppt." Und richtig, dicker Rauch empfing uns
im Hause. Ein Blick in die sogenannte Hinterküche genügte mir, um die Gefahr für
das ganze Haus bei dem heftigen Sturm zu erkennen. Schonend und mit möglichst
sorgloser Miene mußte ich es meinem Manne mitteilen, und ihn zu bewegen suchen,
ins Nachbarhaus zu gehen. Unterdessen waren herbeigeholte Männer schon eifrig
am Löschen, und als nur die hölzerne Balkendecke der Hinterküche weggebrannt
war, war das Feuer gelöscht. Bäche schwarzen Wassers liefen bei der Unebenheit
der Fußböden durchs ganze Haus und die roten Fußbodensteine wollten absolut
den schwarzen Rußschein nicht wieder verlieren. Darüber war es 6 Uhr abends
geworden, und die Schulbetglocke rief zur Fastenpredigt, die uns diesmal der
freundliche und tüchtige Hauptlehrer [Ludwig B. Harms] des Ortes in Vertretung
meines kranken Mannes vorlas. Als ich
nach dem Gottesdienst unser Haus betrat, strömten die Rauchgerüche mir noch mächtig
entgegen. Sie blieben auch noch lange im Haus. Die festgezimmerten Fenster und
der Sturm sorgten dafür, daß wir sie nicht hinausziehen lassen konnten. Die
Vorbereitungen zu diesem Fastenfreitag vergesse ich so leicht nicht wieder. Doch
die Hauptsache war, der Schreck hatte meinem Manne nicht geschadet. Ruhe sollte
aber für ihn noch lange nicht kommen. Die Pflichten mehrten sich für ihn von
Tag zu Tag, und die Krankheit wollte nicht weichen. Er bestand darauf, alle
seine Amtsgeschäfte wieder selbst zu übernehmen, und führte sie auch, trotz körperlicher
Schwäche, wieder selbständig aus. Das Gefühl der eisernen Pflichterfüllung
zog eine gründliche Heilung wohl in die Länge, gab aber auch den Mut und die
Kraft, doch noch den Kopf hoch zu halten. Und als
das vierte Mal für uns die weißen Sommerfäden hin über das schwarze Moor
zogen, kam mein Mann an Leib und Seele gestärkt vom kurzen, aber erquickenden
Urlaub zurück, mit neuer Zähigkeit die Zügel seiner Tätigkeit wieder in die
Hände zu nehmen. Die Anerkennung, während seines Fortseins nach besten Kräften
alles so geleitet zu haben, daß stets Vertretung und Erledigung des Eingehenden
hatte besorgt werden können, ohne ständige Hilfe, hatte mich tatsächlich froh
und - fast stolz gemacht. Darüber wurde alle durchstandene Angst vergessen. Überwunden
war bei mir auch die große Sorge, die oft durch falsche Teilnahme hervorgerufen
war, wenn man zu mir sagte: "Passen se up, hör Mann beleft de nee Kark nich
mehr", oder "He sücht ut, als ob he morgen starben sull", Worte,
die nicht gerade dazu angetan waren, ihre eigentliche Absicht zu erreichen, nämlich
Trost auszudrücken, sondern vielmehr übertriebenste Angst bei mir
hervorgebracht hatten, und schuld waren, daß ich vielleicht nicht immer dem
Kranken mit der für seine Heilung doch so notwendigen Hoffnungsfreudigkeit
entgegentrat. Es war doch sicher, daß ich mit allen mir zu Gebote stehenden
Mitteln der Krankheit meines Mannes zu wehren suchte und Gott anflehte um Hilfe
und Schutz. |
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