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Das Pfarrhaus im Moor

7. Kummervolle Zeiten

      So war für uns hier schon zweimal Winter und Sommer vergangen. Wir hatten inzwischen gelernt, uns wohlzufühlen im Pfarrhaus im Moore. Ein besonderer Umstand sollte allerdings einen großen Teil dazu beitragen. Es war eine Zeit gekommen, wo die große Zuggardine, die Studier- und Schlafraum trennte, auf länger zurückgezogen blieb, wo der große Lehn- und Arbeitssessel des Herrn und Gebieters des Hauses lange seinen Platz nicht mehr im Studiereckchen, sondern drüben in der Wohnküche hatte, ein anderes Stück Möbel hatte ihn verdrängt. Auf vier Rädern, im gefederten Wagen, der just den Platz einnahm, der sonst dem Lehnstuhl gebührte, ruhte ein kleiner Herr des Hauses, der durch energisches Schreien sein volles Recht behauptete, und dadurch fast das seines Vaters bedrohte. Im Frühjahr des zweiten Jahres hatte er seinen Einzug gehalten und hatte uns durch sein Kommen in recht bedrängte Lage gebracht. [Johann Hinrich Friederich Fimmen, * 12. März 1891, getauft 5.4.1891; Eltern: Johann Hinrichs Fimmen und dessen Ehefrau Julia Catharina geb. Handrich; Paten: l. Johann Hinrich Fimmen, Holzhändler zu Dornum, 2. dessen Ehefrau Seedka Johanna Henriette, geb. Albers; 3. Klara Maria Dorothee Handrich, Jungfrau zu Leipzig; 4. Klara Handrich, geb. Wiedemann, Wwe. zu Leipzig; letztere ist vertreten durch Wilhelm Mammen, Gastwirth zu Dornum.]

   Doch das Glück und die Freude über seine Kraft und Gesundheit halfen über alle Berge hinweg, und nach einigen Wochen stand der Lehnstuhl wieder glücklich an seinem alten Platz, der Kinderwagen dagegen drüben am offenen Herdfeuer. Der kleine Weltbürger darin wurde schon früh gedrillt, sich im Hause still zu verhalten, um den Vater nicht zu stören, der in weiser Vorsicht seine Hauptarbeitsstunden auch darum auf den Abend und die halbe Nacht verlegte, wo sein Prinzchen einen festen und langen Schlaf hatte. Es merkte nichts davon, wenn es gegen Mitternacht behutsam in den Schlaf- resp. Stu-dierraum geschoben wurde, und schlief sich gottlob auch in dem mit Pfeifenrauch gefüllten Nachtquartier groß. Im Sommer stand der Kinderwagen den ganzen Tag im Freien, und als ein neuer Dezember dies Jahr mit eisiger, harter Strenge einzog, war das Baby schon ein ruhig sitzendes und spielendes Kind von dreiviertel Jahren. Es war schon das dritte Mal Dezember geworden. Schon zwei Jahre vorbei, gelebt und glücklich gewesen in unserem uns lieb gewordenen Pfarrhaus im Moor.

   Das Leben hatte auch bei uns einen bald gewohnten Gang angenommen, ohne daß wir die früher gewohnten, uns jetzt fast luxuriös erscheinenden Annehmlichkeiten und Bedürfnisse des Lebens sonderlich entbehrt hatten. Und doch, und doch! Es sollte eine Zeit kommen, wo man sich nach Besserem sehnte. Es war die schreckliche Zeit des Krankseins. Genügte das provisorische Pfarrhaus in gesunden Tagen, wo wir, um frische Luft zu haben, zwar keines der festgeschlossenen, aus einem Rahmen gezimmerten Fenster ohne Flügel und Klappen aufmachen, so aber doch schnell ins Freie gelangen konnten, so machten die dichten Fenster sich doch in Zeiten der Krankheit als großer Mangel bemerkbar, und auch die arge Feuchtigkeit des Hauses war in kranken Tagen weit fühlbarer als sonst. Wie betont heutzutage die moderne Hygiene doch gerade frische Luft in allen Räumen als Haupt-Heilfaktor bei allen Nervenleiden. Und Nervenschwäche war es, die bei meinem Mann durch Überarbeitung und eine siebenwöchige Hungerkur, bedingt durch einen Magenkatarrh zu einer Plage wurde, die ihn an der Ausübung seiner Pflicht hemmte.

   Es kam eine schwere, bedrängte Zeit für den Kranken und - seine Umgebung. Die vier Wände wurden uns allen zum ersten Mal überall zu eng. Glücklich dann, wenn der Kranke durch eine Stunde Schlaf Ruhe und Stärkung fand, gleichviel zu welcher Tageszeit dies war, wurde ängstlich auch der kleinste Lärm zu vermeiden gesucht, alle Arbeiten in Küche und Haus sofort eingestellt und die treue Magd eilte mit dem schreienden, lärmenden Kinde sogleich ins Freie, wo es verwundert weiterspielen durfte. Kleine und große Ereignisse dazwischen sollten Schrecken und Sorge erhöhen. Nachdem im Befinden meines Mannes nach langem etwas Besserung eingetreten war, und ich nach wochenlangem Aufenthalt im Krankenzimmer endlich einmal wagen durfte, auf einige Stunden auszugehen, machte ich mich, allerdings bei heftigstem Sturm, auf den Weg, neue Arznei aus der fernen Apotheke (Westrhauderfehn) zu holen.

   Als ich nach zweistündiger Abwesenheit mich wieder unserem Hause näherte, sah ich schon von weitem unser Mädchen mit dem zappelnden Kinde auf dem Arm vor dem Hause auf- und abgehen. Der Gedanke: Es ist schlimmer mit deinem Mann, durchzuckte sofort mein Herz, und schon von einiger Entfernung aus rief ich um Aufklärung. Des Mädchens klägliches Gesicht, der Ton und die so nichts und doch so viel sagende Rede der Magd: "Ach, ik dür hör't gar nicht sagen", versetzte mich in große Erregung. Als wir dem Hause näher kamen und ich immer dringender das Mädchen um Aufklärung bat, sagte es unter Tränen: "Ach, Frau Pastorin, uns Achterköken de brannt, und ik mochte es Herr Pastor nicht sagen, denn de slöppt." Und richtig, dicker Rauch empfing uns im Hause. Ein Blick in die sogenannte Hinterküche genügte mir, um die Gefahr für das ganze Haus bei dem heftigen Sturm zu erkennen. Schonend und mit möglichst sorgloser Miene mußte ich es meinem Manne mitteilen, und ihn zu bewegen suchen, ins Nachbarhaus zu gehen. Unterdessen waren herbeigeholte Männer schon eifrig am Löschen, und als nur die hölzerne Balkendecke der Hinterküche weggebrannt war, war das Feuer gelöscht. Bäche schwarzen Wassers liefen bei der Unebenheit der Fußböden durchs ganze Haus und die roten Fußbodensteine wollten absolut den schwarzen Rußschein nicht wieder verlieren. Darüber war es 6 Uhr abends geworden, und die Schulbetglocke rief zur Fastenpredigt, die uns diesmal der freundliche und tüchtige Hauptlehrer [Ludwig B. Harms] des Ortes in Vertretung meines kranken Mannes vorlas.

   Als ich nach dem Gottesdienst unser Haus betrat, strömten die Rauchgerüche mir noch mächtig entgegen. Sie blieben auch noch lange im Haus. Die festgezimmerten Fenster und der Sturm sorgten dafür, daß wir sie nicht hinausziehen lassen konnten. Die Vorbereitungen zu diesem Fastenfreitag vergesse ich so leicht nicht wieder. Doch die Hauptsache war, der Schreck hatte meinem Manne nicht geschadet. Ruhe sollte aber für ihn noch lange nicht kommen. Die Pflichten mehrten sich für ihn von Tag zu Tag, und die Krankheit wollte nicht weichen. Er bestand darauf, alle seine Amtsgeschäfte wieder selbst zu übernehmen, und führte sie auch, trotz körperlicher Schwäche, wieder selbständig aus. Das Gefühl der eisernen Pflichterfüllung zog eine gründliche Heilung wohl in die Länge, gab aber auch den Mut und die Kraft, doch noch den Kopf hoch zu halten.

   Und als das vierte Mal für uns die weißen Sommerfäden hin über das schwarze Moor zogen, kam mein Mann an Leib und Seele gestärkt vom kurzen, aber erquickenden Urlaub zurück, mit neuer Zähigkeit die Zügel seiner Tätigkeit wieder in die Hände zu nehmen. Die Anerkennung, während seines Fortseins nach besten Kräften alles so geleitet zu haben, daß stets Vertretung und Erledigung des Eingehenden hatte besorgt werden können, ohne ständige Hilfe, hatte mich tatsächlich froh und - fast stolz gemacht. Darüber wurde alle durchstandene Angst vergessen. Überwunden war bei mir auch die große Sorge, die oft durch falsche Teilnahme hervorgerufen war, wenn man zu mir sagte:

"Passen se up, hör Mann beleft de nee Kark nich mehr", oder "He sücht ut, als ob he morgen starben sull", Worte, die nicht gerade dazu angetan waren, ihre eigentliche Absicht zu erreichen, nämlich Trost auszudrücken, sondern vielmehr übertriebenste Angst bei mir hervorgebracht hatten, und schuld waren, daß ich vielleicht nicht immer dem Kranken mit der für seine Heilung doch so notwendigen Hoffnungsfreudigkeit entgegentrat. Es war doch sicher, daß ich mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln der Krankheit meines Mannes zu wehren suchte und Gott anflehte um Hilfe und Schutz.

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