Home ] 100 Jahre ] Die Pastoren von Ostrhauderfehn ] Friedhof Ostrhauderfehn - 1833 ] Der erste Kirchendiener- 1890 ] Das Pfarrhaus im Moor ] 1945 ] Goldene Konfirmation ]


  Das Pfarrhaus im Moor

l. Mein Jugendtraum

   "Pflüget ein Neues", so lauten die Worte, die uns der treue, geliebte Seelsorger an unserem Hochzeitstage vom Traualtar zurief. Es war ein sinnig gewählter Text für ein Brautpaar, da ein solches doch stets am Tage seiner Hochzeit ein Neues beginnt. Ein neues Leben beginnt der junge Gatte, der bis dahin vielleicht allein und einsam war, nach angestrengter Pflichterfüllung, ohne freundlichen Empfang ins wenig traute Junggesel-lenstübchen trat. Ein Neues beginnt, auch in vielleicht noch größerem Maße das neu gebackene Frauchen, das bis dahin in jungfräulicher Sorglosigkeit das Leben genoß, verwöhnt von der unermüdlichen Fürsorge der treuen Eltern und der anhänglichen Liebe der Geschwister. Ja, gewiß, es beginnt für jedes Paar ein neues Leben in der Stunde, wo es sich Treue gelobt in Leid und Freud.

   Wie weit treffender nun waren jene inhaltsreichen Worte gerade auch für uns gesucht und ausgelegt, für uns, die wir nicht nur in solchem Sinne, wie jedes andere Paar, ein Neues am Trautag begannen, sondern die dazu bestimmt waren, im hohen Norden Deutschlands, in ein Arbeitsfeld zu treten, das erst völlig neu gepflügt, von Grund auf neu geackert werden mußte, um in ihm die Stätte zu schaffen, die der Ehre Gottes in direktester Weise dienen sollte. Zog doch der mir angetraute Gatte als erster selbständiger evangelischer Pfarrer in eine neu gegründete Gemeinde, die bis dahin ohne eigenen Hirten war, die gelegen an der Grenze eines katholischen Ländchens, teils auf Hochmoor, teils auf abgetragenem Torfland, zirka schon 1½ Tausend Seelen groß, noch des eigenen protestantischen Kirchleins entbehrte.

   Bis dahin war sie zwar mit großer Treue, aber nur unter unendlichen Mühen von dem benachbarten, evangelischen Geistlichen mitversorgt worden, aber sie wuchs auch dem äußerst rührigen Pfarrer doch schließlich über die Hand [Johann H. Voß]. Auch hatten die Leute einen gar beschwerlichen Kirchweg. Sie mußten bis vor kurzem entweder auf dem holprigen Deich eines Sees [Langholter Tief] auf großen Umwegen entlang, oder auf mangelhaften Booten über diesen bedeutenden und heimtückischen Landsee übersetzen, um in die vom Ende unserer Moorkolonie zwei Stunden entfernte Nachbarkolonie zu gelangen, wo neben einer katholischen Kirche mit zwei Geistlichen auch ein evangelisches Gotteshaus mit einem Pfarrer für die dortigen Schiffer und Landleute erbaut war.

   Die Bewohner unserer Gemeinde waren meist arme Moorkolonisten, die bei ihrer Niederlassung ein Stück Hochmoor unter der Bedingung zur Verfügung bekamen, daß sie es urbar zu machen hatten. Dazu mußten sie zuerst die über zwei Meter hohe Torfschicht ausstechen, wobei sie oft tief im Moorwasser standen, sodann den Torf durch regelrechtes Aufbauen trocknen und den dann sichtbar werdenden, völlig gehaltlosen Moorgrund mit Sand und Dünger verarbeiten, um auf ihm doch wenigstens zuerst nur Buchweizen und Kartoffeln bauen zu können. Es war ein schweres, schweres Stück Brot. Manch einer ging dabei körperlich zugrunde und hinterließ die Seinen in bitterster Not.

   Es war eine arme Gemeinde, die aus eigenen Mitteln ungefähr soviel wie gar nichts leisten konnte, und darum auf die Liebe und Opferfreudigkeit ihrer Glaubensgenossen und die treue Hilfe der Behörden angewiesen war, sollte sie als letzte evangelische Gemeinde an der Grenze jenes streng katholischen Ländchens endlich das eigene Gotteshaus haben und nicht dem Evangelium verloren gehen.

   Es war an einem milden Dezembertag, als wir der großen Handelsstadt Leipzig mit ihrem regen und anregenden Leben den Rücken kehrten. Es war die Vater-Stadt, in der ich mein bisheriges Leben gelebt, in der ich gesucht, gestrebt und Gutes genossen hatte, in der mir durch die Hand, den Mund und den Verstand einer edlen, trefflichen Mutter das alles zuteil geworden war, was ich jetzt besaß, mein eigen nennen durfte, und was in seiner vollen Größe den tiefsten Wert eines Menschen ausmacht. Es war die alte Heimat, das Vaterhaus mit seinen Lieben und seinem Leben, was ich verließ, um doch freudig trotz aller wehmütigen Abschiedsgefühle, hinzuziehen an der Seite des erwählten Gatten, der neuen, fernen und noch fremden Heimat zu.

    Die lange Eisenbahnfahrt hätte uns genug Zeit gegeben, zurückzudenken, all das Gewesene an unserem Geist noch einmal vorbeiziehen zu lassen, wenn wir nur gewollt hätten, aber vielleicht wollten wir nicht, oder machten wir uns das "Warum es nicht geschah", gar nicht einmal recht klar, kurzum, war es bewußt oder unbewußt, der Vergangenheit gedachten wir damals nicht halb so viel, als der vor uns liegenden Zukunft. Und da war es in erster Linie die allernächste, erwartungsvolle Zeit, mit der sich unsere Gedanken beschäftigten. War dies nun wohl zu verwundem? Hatte ich doch von unserer neuen, gemeinsamen Heimat, von der Art und Weise unserer neuen Arbeit, von dem Ort selbst und der Gegend, von den Leuten und ihren Sitten, vor allen von ihrer mir noch ungeläufigen, plattdeutschen Sprache und nicht zum geringsten von unserem demnächstigen Wohnhaus so vielerlei vernommen, daß ich wohl mit Recht der nächsten Zeit voller Erwartung entgegensehen mußte. O wie recht sollte der von uns allen so hochverehrte Geistliche behalten, als er uns die Worte mitgab: "Pflüget ein Neues". - Ich hörte einmal von einem großen bedeutenden Manne, daß auch er glaube, wie so mancher andere: Gott erfülle dem Menschen wohl jeden Wunsch, wenn er nur seine Zeit abwarten könne.

   Nun, auch ich hatte schon in der frühesten Backfischzeit den lebhaften Wunsch geäußert, dermaleinst eine Pfarrfrau zu werden. Das Leben in einem Pfarrhaus stand mir als das Poesievollste, Idealste, als das, was nach außen und innen am glücklichsten machen könnte, vor Augen. Wie doppelt freudig ließe sich's wohl schalten und walten in einer idyllisch gelegenen Landpfarre. Wie lebhaft standen mir von je die großen und vielen, so trauten Räume der Pfarrhäuser in Erinnerung, die ich als Kind mit den Eltern besucht hatte. Wie romantisch schön lag solch ein Haus, umgeben von dem gut gepflegten, alten weiten Pfarrgarten, mit seinen vielen, mächtigen und prächtigen, schattenspendenden Bäumen, unten denen sich der so gemütlich aussehende, stets zu einem Späßchen aufgelegte Pfarrherr mit seiner Familie versammelte, seine Gäste willkommnete, das Pfeifchen rauchte, "Das Politische" las und seine sonntägliche Predigt studierte. Verargst du es mir, lieber Leser, wenn nach solchen Einblicken ich schon früh für das Landpfarrleben schwärmte? Durch meinen Hochzeitstag war ich nun schon ein großes Teil auf meiner Wunschleiter emporgekommen. Sollte ich nun wohl auch all die idyllisch romantischen Einzelheiten meines Traum- und Wunschlebens verwirklicht sehen in der neuen Heimat, in dem Hause, was schon nach aller Schilderung von Freunden das "Pfarrhaus im Moor" genannt wurde? Nun, ich will von Anfang an erzählen, was und wie ich alles vorfand in meiner neuen, herbeigewünschten Heimat als Pfarrfrau.

weiter