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Mein Jugendtraum "Pflüget
ein Neues", so lauten die Worte, die uns der treue, geliebte Seelsorger an
unserem Hochzeitstage vom Traualtar zurief. Es war ein sinnig gewählter Text für
ein Brautpaar, da ein solches doch stets am Tage seiner Hochzeit ein Neues
beginnt. Ein neues Leben beginnt der junge Gatte, der bis dahin vielleicht
allein und einsam war, nach angestrengter Pflichterfüllung, ohne freundlichen
Empfang ins wenig traute Junggesel-lenstübchen trat. Ein Neues beginnt, auch in
vielleicht noch größerem Maße das neu gebackene Frauchen, das bis dahin in
jungfräulicher Sorglosigkeit das Leben genoß, verwöhnt von der unermüdlichen
Fürsorge der treuen Eltern und der anhänglichen Liebe der Geschwister. Ja,
gewiß, es beginnt für jedes Paar ein neues Leben in der Stunde, wo es sich
Treue gelobt in Leid und Freud. Wie weit
treffender nun waren jene inhaltsreichen Worte gerade auch für uns gesucht und
ausgelegt, für uns, die wir nicht nur in solchem Sinne, wie jedes andere Paar,
ein Neues am Trautag begannen, sondern die dazu bestimmt waren, im hohen Norden
Deutschlands, in ein Arbeitsfeld zu treten, das erst völlig neu gepflügt, von
Grund auf neu geackert werden mußte, um in ihm die Stätte zu schaffen, die der
Ehre Gottes in direktester Weise dienen sollte. Zog doch der mir angetraute
Gatte als erster selbständiger evangelischer Pfarrer in eine neu gegründete
Gemeinde, die bis dahin ohne eigenen Hirten war, die gelegen an der Grenze eines
katholischen Ländchens, teils auf Hochmoor, teils auf abgetragenem Torfland,
zirka schon 1½ Tausend Seelen groß, noch des eigenen protestantischen
Kirchleins entbehrte. Bis dahin
war sie zwar mit großer Treue, aber nur unter unendlichen Mühen von dem
benachbarten, evangelischen Geistlichen mitversorgt worden, aber sie wuchs auch
dem äußerst rührigen Pfarrer doch schließlich über die Hand [Johann H. Voß].
Auch hatten die Leute einen gar beschwerlichen Kirchweg. Sie mußten bis vor
kurzem entweder auf dem holprigen Deich eines Sees [Langholter Tief] auf großen
Umwegen entlang, oder auf mangelhaften Booten über diesen bedeutenden und heimtückischen
Landsee übersetzen, um in die vom Ende unserer Moorkolonie zwei Stunden
entfernte Nachbarkolonie zu gelangen, wo neben einer katholischen Kirche mit
zwei Geistlichen auch ein evangelisches Gotteshaus mit einem Pfarrer für die
dortigen Schiffer und Landleute erbaut war. Die
Bewohner unserer Gemeinde waren meist arme Moorkolonisten, die bei ihrer
Niederlassung ein Stück Hochmoor unter der Bedingung zur Verfügung bekamen, daß
sie es urbar zu machen hatten. Dazu mußten sie zuerst die über zwei Meter hohe
Torfschicht ausstechen, wobei sie oft tief im Moorwasser standen, sodann den
Torf durch regelrechtes Aufbauen trocknen und den dann sichtbar werdenden, völlig
gehaltlosen Moorgrund mit Sand und Dünger verarbeiten, um auf ihm doch
wenigstens zuerst nur Buchweizen und Kartoffeln bauen zu können. Es war ein
schweres, schweres Stück Brot. Manch einer ging dabei körperlich zugrunde und
hinterließ die Seinen in bitterster Not. Es war
eine arme Gemeinde, die aus eigenen Mitteln ungefähr soviel wie gar nichts
leisten konnte, und darum auf die Liebe und Opferfreudigkeit ihrer
Glaubensgenossen und die treue Hilfe der Behörden angewiesen war, sollte sie
als letzte evangelische Gemeinde an der Grenze jenes streng katholischen Ländchens
endlich das eigene Gotteshaus haben und nicht dem Evangelium verloren gehen. Es war an
einem milden Dezembertag, als wir der großen Handelsstadt Leipzig mit ihrem
regen und anregenden Leben den Rücken kehrten. Es war die Vater-Stadt, in der
ich mein bisheriges Leben gelebt, in der ich gesucht, gestrebt und Gutes
genossen hatte, in der mir durch die Hand, den Mund und den Verstand einer
edlen, trefflichen Mutter das alles zuteil geworden war, was ich jetzt besaß,
mein eigen nennen durfte, und was in seiner vollen Größe den tiefsten Wert
eines Menschen ausmacht. Es war die alte Heimat, das Vaterhaus mit seinen Lieben
und seinem Leben, was ich verließ, um doch freudig trotz aller wehmütigen
Abschiedsgefühle, hinzuziehen an der Seite des erwählten Gatten, der neuen,
fernen und noch fremden Heimat zu. Die
lange Eisenbahnfahrt hätte uns genug Zeit gegeben, zurückzudenken, all das
Gewesene an unserem Geist noch einmal vorbeiziehen zu lassen, wenn wir nur
gewollt hätten, aber vielleicht wollten wir nicht, oder machten wir uns das
"Warum es nicht geschah", gar nicht einmal recht klar, kurzum, war es
bewußt oder unbewußt, der Vergangenheit gedachten wir damals nicht halb so
viel, als der vor uns liegenden Zukunft. Und da war es in erster Linie die
allernächste, erwartungsvolle Zeit, mit der sich unsere Gedanken beschäftigten.
War dies nun wohl zu verwundem? Hatte ich doch von unserer neuen, gemeinsamen
Heimat, von der Art und Weise unserer neuen Arbeit, von dem Ort selbst und der
Gegend, von den Leuten und ihren Sitten, vor allen von ihrer mir noch ungeläufigen,
plattdeutschen Sprache und nicht zum geringsten von unserem demnächstigen
Wohnhaus so vielerlei vernommen, daß ich wohl mit Recht der nächsten Zeit
voller Erwartung entgegensehen mußte. O wie recht sollte der von uns allen so
hochverehrte Geistliche behalten, als er uns die Worte mitgab: "Pflüget
ein Neues". - Ich hörte einmal von einem großen bedeutenden Manne, daß
auch er glaube, wie so mancher andere: Gott erfülle dem Menschen wohl jeden
Wunsch, wenn er nur seine Zeit abwarten könne. Nun, auch
ich hatte schon in der frühesten Backfischzeit den lebhaften Wunsch geäußert,
dermaleinst eine Pfarrfrau zu werden. Das Leben in einem Pfarrhaus stand mir als
das Poesievollste, Idealste, als das, was nach außen und innen am glücklichsten
machen könnte, vor Augen. Wie doppelt freudig ließe sich's wohl schalten und
walten in einer idyllisch gelegenen Landpfarre. Wie lebhaft standen mir von je
die großen und vielen, so trauten Räume der Pfarrhäuser in Erinnerung, die
ich als Kind mit den Eltern besucht hatte. Wie romantisch schön lag solch ein
Haus, umgeben von dem gut gepflegten, alten weiten Pfarrgarten, mit seinen
vielen, mächtigen und prächtigen, schattenspendenden Bäumen, unten denen sich
der so gemütlich aussehende, stets zu einem Späßchen aufgelegte Pfarrherr mit
seiner Familie versammelte, seine Gäste willkommnete, das Pfeifchen rauchte,
"Das Politische" las und seine sonntägliche Predigt studierte.
Verargst du es mir, lieber Leser, wenn nach solchen Einblicken ich schon früh für
das Landpfarrleben schwärmte? Durch meinen Hochzeitstag war ich nun schon ein
großes Teil auf meiner Wunschleiter emporgekommen. Sollte ich nun wohl auch all
die idyllisch romantischen Einzelheiten meines Traum- und Wunschlebens
verwirklicht sehen in der neuen Heimat, in dem Hause, was schon nach aller
Schilderung von Freunden das "Pfarrhaus im Moor" genannt wurde? Nun,
ich will von Anfang an erzählen, was und wie ich alles vorfand in meiner neuen,
herbeigewünschten Heimat als Pfarrfrau. |
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