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Die Familie Humbert

aus:

Martin Thielke (Hrsgb.), Biographisches Lexikon für Ostfriesland. 2. Bd., Aurich 1997, S. S.175ff:

 

Die Familie Humbert ist eine jener ostfriesischen Familien, in denen sich das internationale Spannungsfeld widerspiegelt, in dem sich Ostfriesland im vergangenen Jahrhundert bewegte. Als Ostfriesland, dessen staatsrechtliche Zugehörigkeit damals alle paar Jahrzehnte zwischen den verschiedenen Nachbarstaaten wechselte, Teil des französischen Kaiserreiches wurde, kamen zahlreiche Beamte ins Land. Hugues Humbert aus La Capelle en Thiérache (1.2.1790 - 3.10.1856), Sohn des dortigen Bürgermeisters, Louis Henri Humbert, aus einer alten Kaufmanns- und Zöllnerfamilie zu Péronne an der Somme, war in den Jahren der Französischen Revolution aufgewachsen und in den Dienst des aufstrebenden napoleonischen Kaiserreiches getreten. Am äußersten Ende dieses Reiches, in Ditzum im holländischen Departement Ouest-Ems, war er zuständig für die überwachung der Kontinentalsperre und gab nebenher Französischunterricht an wohlhabende Bauerstöchter. Eine seiner Schülerinnen, die l6jährige Trientje Klaassen Homfeld (15.7.1796 - 26.6.1869), wurde seine Geliebte. Als sie schwanger wurde, entschloß er sich zur Desertion und tauchte bei der Flucht der französischen Beamten aus dem Land in einem einsam gelegenen Bauernhof der Homfeldschen Familie unter, bis schließlich nach etwa einem Jahr Normalität einkehrte und die beiden heiraten konnten (1814).

Als kaiserlicher Steuer- und Zollbeamter hatte sich Humbert - im Gegensatz zu vielen Kollegen - den Ruf der Gerechtigkeit erworben; anläßlich eines Steuerstreites, den er durch einen Steuernachlass für einen kinderreichen Fischer ausgelöst hatte, erging aus Paris der Spruch, er solle seinen Entscheidungen weiterhin nicht allein die Buchstaben des Gesetzes, sondern sein Herz zugrunde legen. Mehrere Quellen lassen darauf schließen, dass er im für Ostfriesland wirtschaftlich bedeutenden Dollart-Schmuggel mit England eine Schlüsselposition einnahm; mancher Ditzumer meinte, er habe auf diesem Wege sein Vermögen erworben. Gegen Haferlieferungen soll er Kolonialwaren, insbesondere gelben Zucker, der als "Fuder Sand" deklariert war, eingeführt haben.

Im Verlauf von 25 Jahren bekamen sie zwölf Kinder, die in dem 1817 von Hugues ("Hugo") Humbert erbauten Ditzumer Anwesen, genannt "die Borg", aufwuchsen. Von diesen überlebten acht. Im Hause wurde vor allem französisch und holländisch gesprochen; die französischen Klassiker waren geschätzte Lektüre. Wirtschaftliche Sicherheit verschafften ein Teil des Homfeldschen Erbes, die Bewirtschaftung einer landwirtschaftlichen Besitzung sowie die Geschäfte, die Humbert - allerdings mit wechselndem Erfolg - betrieb. Mit übernahme und Ausbau der Braß'schen Ziegelfabrik in Ditzum wurde eine von ihm entwickelte, in Frankreich patentierte neuartige Dachziegelform "System Humbert" eingeführt und in Fachblättern vorgestellt. Da er sehr zurückgezogen lebte, nur zu wenigen wie zu den Mitgliedern seiner Emder Freimaurerloge "Zur Union", dem Dorflehrer (s. Art. "Smidt, Wolbert") und einigen Pastoren Kontakt pflegte, außerdem Deutsch und Platt nur schlecht sprach, entstanden schon zu Lebzeiten Legenden um seine Person; er betätigte sich auch als pflanzenkundiger Bauerndoktor. Als die Gemeinde Ditzum mehr als ein Jahrhundert nach seinem Tod in der Gemeinde Jemgum aufging, wurde die übergabe der Amtsgeschäfte durch Handschlag zwischen dem Ditzumer und dem Jemgumer Bürgermeister an seinem Grab vollzogen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Claas Humbert mit seiner Familie

Seine Kinder trugen wechselweise ostfriesische und französische Namen. Die älteren gingen sowohl in Ditzum als auch - meist kürzer - in La Capelle zur Schule, wo sie im Haus ihrer "klugen und gebildeten" Großmutter Marguerite Florimonde Humbert geb. Mariage lebten. Die erste Tochter, Metje Henriette (14.6.1813 - 14.10.1872), heiratete den Prediger des Nachbarortes, "Dominee" H. W. Feenders in Oldendorp <gebürtig aus Rhaude!>, von dem kleine unveröffentlichte chronikalische Schriften zum Gemeinde- und Familienleben überliefert sind. Einer ihrer Enkel war der noch in Oldendorp geborene, aber in Ostpreußen aufgewachsene Berliner Unterhaltungsdichter Lukas Wychgram, im bürgerlichen Beruf Polizeirat, der nach der Jahrhundertwende humorige Bücher ("Der Kolonialonkel") und Gedichte, u.a. über seine ostfriesische Tante Hinderika Buurmann geb. Feenders, veröffentlichte. Aus ihrer Familie stammen außerdem die holländischen Feenders. Von den zehn Kindern des achten Humbert-Kindes Frouwkina (30.3.1828-22.5.1911) aus der Ehe mit dem Emder Kaufmann und Senator Friedrich Graepel lebten drei als Kaufleute und Unternehmer in Spanien, Ungarn bzw. Rumänien; die Enkelin Marie Graepel wurde 1912 die Ehefrau des britischen Diplomaten Victor Chambers.

Der erste überlebende Humbert-Sohn war Claas Humbert, der als Neuphilologe Bedeutung für die deutsch-französischen Kontakte seiner Zeit erlangte. Albertus Hermannus Humbert (25.6.1833 - 29.7.1898), der Zehnte der Geschwister, war ein bekannter Pferdezüchter in Süder-Christian- Eberhardspolder, insbesondere von Goldfuchsstuten, mit denen er den Oberstallmeister Graf Lehndorf belieferte. Er ist Vorfahre der holländischen Humberts. Der Jüngste, Hermann Poppo Humbert (22.3.1838 - 27.1904), wurde Begründer des "englischen" Zweiges der Familie. In seiner Jugend war Ostfriesland königlich großbritannisch-hannoversche Provinz, was ihm den Weg nach England eröffnete. Er wurde Kaufmannslehrling in Birmingham, baute 1863 die Vertretung einer englischen Firma für landwirtschaftliche Maschinen in Breslau auf, gründete ein eigenes Unternehmen und wurde britischer Konsul. Von seinem Vater hatte er die Liebe zur Malerei; da aber durch Kriegseinwirkung der größte Teil seiner ölgemälde verschollen ist, kann ihre Bedeutung kaum mehr eingeschätzt werden. In seiner Jugend unternahm er mit seinem Bruder Claas mehrere Frankreich-Reisen und stand mit ihm in den 80er Jahren in intensivem wissenschaftlichen Austausch. Seine schriftstellerischen Arbeiten und poetischen Versuche sind Zeugnisse ihrer engen Verbindung wie seine übersetzung des Gedichts von Victor Hugo "Choix entre les deux nations" und eine Molière-Bearbeitung. In einem historisierenden Trauerspiel über den Freiheitskampf der Stedinger Bauern gegen den Bremer Erzbischof setzte er sich mit den aktuellen politischen Konflikten auseinander, das er unter dem germanisierenden Pseudonym "Armin" veröffentlichte. Mit seiner englischen Frau hatte er fünf Kinder; die Tochter Klasina verheiratete sich mit dem Breslauer Professor für altindische Sprachen Bruno Liebich, der Sohn Hermann war 1904-1914 britischer Konsul. Dr. Hugo Humbert, der Jüngste, trat in den zwanziger Jahren als Wirtschaftspublizist hervor.

Werke:

[Hugues H u m b e r t:] Neue Systeme von Dachziegeln. Von Humbert und Pandosy, in: Allgemeine Bauzeitung, Wien 1866, S.208-211 (mit Abbildungen).

[Hermann P. H u m b e r t:] Der Geizige. Lustspiel in 5 Aufzügen nach Mohere, Breslau 1880; A r m i n [Pseudonym], Der Bannfluch oder Die Stedinger, Breslau 1890 (Trauerspiel); Victor H u g o, Wahl zwischen den zwei Völkern, in: Zeitschrift für neufranzösische Sprache und Literatur 5, 1883, S.42-43 [übers. o.N.]

[Lukas W y c h g ram]: Der Kolonialonkel!, Berlin 1908; "Glücksmaxel". Heiteres aus dem Studenten- und Referendarsleben, Berlin 1908; Das Freibad und anderes Humoristische, Berlin 1908; Preister-Karlings Bildungsbank [Dichtung], Wittstock/Dosse 1924; Polizei-Humor. Verse (Polizeigeschichten in Bild und Gedichten), Dresden [1926]; Fallobst. Heitere Verse zum Vottragen, Berlin 1927.

Quellen: Archives Nationales, Paris; Archives departementales de l'Aisne, Soissons; Familienbibel Humbert (im Bes. des Verf.); "Vergißmeinnicht", 1866, aus dem Besitz von Katharina Poppea Smidt geb. Feenders (ebd.); Familienübersicht von Rosalie Leclère née Azambre, Reims 1897/98 (aufgeschrieben von Hugo Humbert aus Bielefeld); Schreiben von Hermann Diddens, Landwirt in Charlottenpolder, an Hugo Humbert in Osnabrück, 1918; Erzählungen der über 100jährigen~~ Anna Bruhns, Ditzum um 1925 (nach Brouer); Hermann Humbert, Notizen zum Stammbaum, Fr~ankfu~rt/M. 15.3.1927 (1 Bl., bei Dorothea Humbert); Hugo H u m b e r t, Hugue [sic!] Humbert, Osnabrück 1937 (2 S., ebd.); Rede von Admiral Karl Smidt, Familientag Smidt in Leer, 22.4.1973; Gespräche mit Bäckerehrenobermeister Hermann Brouer, ehem. Gemeinderat Ditzum, 1985/87; Wolbert G. C. Smidt, Humbert, Genealog. Tateln, Heidelberg 1990 (unveröff. Ms.); Mitteilungen von Ruth Humbert, Murnau, 1996.

Literatur (in Auswahl): Hermann D e g e n er, Wer ist's?, Band 1, 1905, S.371, Band 2, 1906, S.526,

Band 3, 1908, S.613, Band 4, 1909, S.339, Band 5, 1911, S.650, Band 6, 1912, S.714, Band 7, 1914, 5.

750 [Konsul Hermann Humbert]; Friedrich W[ilhelm] Beekmann, Geschichte der ostfriesischen Ziegeleien, Weener ~934, S.33 [Ziegelei Humbert 1843]; Die Pastoren der Landeskirchen Hannovers und Schaumburg-Lippes seit der Reformation, hrsg. von Philipp Meyer, Band 2, Göttingen 1942,S.232 [Harbert Wilms Feenders]; Hans-Joachim H u m b e r t, Nachrichten der Familie Humbert, Halle/Saale 1947/50 (unveröff. Ms., mit T. 1 von Wolbert G. C. S m i d t, Garches bei Paris 1987); Reinhard P. W. S m i d t, Chronik Smidt, Band 1, Hameln 1948 (unveröff. Ms. bei Botschaftsrat Wolbert K. Smidt, Paris); Gerriet S c h e r z, Die Reiderländer Homfelds, in: Quellen und Forschungen zur ostfriesischen Familien- und Wappenkunde, 1955. H. 3; Hans Feen der 5, Feenders, in: Deutsches Geschlechterbuch, Band 59, 1928,S. 30, Band 190, 1983, S.578, 593 (Portr. Feenders); Johann G r a e p e 1, Graepel, in: ebd., Band 59, 1928, 5. 9~; Pierre S e r g e n t, La Capelle en Thiérache. Des origines à nos jours; La Capelle 1974, 5.13, 24; Ludwig de W a l l , Dat Endje van de Welt, van Lü un Landau de Waterkant, Weener 1979, S.16; Hans F e e n d e r s, Ergänzungen zum Ast Oldendorp-Weener der Familie Feenders, Emden 1987 (unveröff. Ms.), 5. 5ff., 14; Axona, cercle génealogique de l'Aisne, Bulletin d'Octobre 1991, No. 13, 5.146; Wolbert G. C. S mi d t, Die deutsch-französische Familie Humbert, in: Quellen und Forschungen zur ostfriesischen Familien- und Wappenkunde (in Vorber.)  

von Wolbert G. C. Smidt

Bitte lesen Sie auch den Artikel  "Vom Schmuggel, von der Liebe und einem Gedicht von Moliere"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


"Dieses Bild aus dem Humbertschen Familienbesitz zeigt einen der
Humbert-Söhne. Lange wurde es für ein Bild des Vaters gehalten, jedoch
war zu dessen Jugendzeit die Fotografie noch nicht erfunden."

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