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Die Fehntjer wollten nicht für Napoleon sterben

von Hermann Aden, Nortmoor
(aus: Ostfreesland Kalender 1990, S. 153ff.)

    Wer heute von Timmel durch die Meeden nach Neuefehn fährt und dabei das Spetzer- und das Bagbander Tief überquert, ahnt nicht, daß es in dieser friedlichen Landschaft am 14. April 1811 zu einem Feuergefecht zwischen französischen Besatzungstruppen und ostfriesischen Seeleuten gekommen ist. Einem französischen Kommando wurde auf seinem Marsch nach den Fehnen hier in den Meeden von den Ostfriesen der Weg verlegt. Es mußte sich, nachdem die Fehntjer mit ihm scharfe Schüsse gewechselt hatten, unverrichteter Sache wieder nach Aurich zurückziehen.

    Wie war es dazu gekommen? Nachdem der französische Kaiser Napoleon nahezu ganz Europa erobert hatte, versuchte er auch noch die Seemacht England in die Knie zu zwingen. Dazu benötigte er erfahrene Seeleute. Und so ordnete er am 10. Februar 1811 an, daß die sieben holländischen Departements seines französischen Kaiserreichs 3000 Marinesoldaten zu stellen hätten Auf das Departement der Ost-Ems, das sich etwa mit Ostfriesland deckte, entfielen nach dieser Anordnung 300 ,,Conscribirte". Für den ganzen ostfriesischen Raum rechneten die französischen Behörden damals mit etwa 2600 Seeleuten im Alter zwischen 24 und 49 Jahren, aus denen nun 300 ausgelost werden sollten. Bei diesen Losungen war es nun bereits in Leer und Detern zu Unruhen gekommen, hatte es doch bis dahin noch nie eine Militärpflicht für Ostfriesen gegeben. Als nun am 11. April 1811  600 Seeleute aus den Kantonen Aurich, Berum, Norden und Timmel aufs Schloß nach Aurich zur Losung befohlen wurden, verursachten die Schiffer des Kantons Timmel dort einen Tumult, in dessen Verlauf der französische Präfekt mit einem Knüppel zwei Schläge in den Nacken erhielt und schließlich durch den Schloßgraben flüchtete. Vor dem dann anrückenden Militär zerstoben die Schiffer in alle Winde.

    Um die Seeleute des Kantons Timmel zur Räson zu bringen, wurde am 14. April 1811 ein militärisches Kommando nach den Fehnen in Marsch gesetzt. Die Fehntjer nun, die wußten, was ihnen bevorstand und keinen Wert darauf legten, in einem Kampf mit der weit überlegenen englischen Flotte ihr Leben für die unersättlichen Eroberungspläne des französischen Kaisers zu verlieren, hatten sich notdürftig bewaffnet und den Franzosen in den sumpfigen, von breiten Wasserläufen durchzogenen Meeden den Weg verlegt. Es kam dann zu einem regelrechten Feuergefecht, in dessen Verlauf sich herausstellte, daß die französische Einheit zu schwach war, um den Widerstand der Fehntjer überwinden zu können. So zogen sich die Franzosen erst einmal über Timmel nach Aurich zurück.

    Wir können uns das Triumphgefühl der Fehntjer vorstellen, denen es gelungen war, mitten in Europa eine kleine franzosenfreie Zone zu schaffen, wenn auch nur für kurze Zeit. Militärisch gesehen war das ganze Unternehmen natürlich ein Wahnsinn, denn von Cadiz in Spanien bis Königsberg in Ostpreußen standen französische Truppen: Was konnten die wenigen Fehntjer schon dagegen ausrichten! Aber wie tief muß ihre Verzweiflung und ihr Widerwille gegen Napoleon gewesen sein, daß sie sich zum bewaffneten Widerstand hinreißen ließen.

    Der Triumph der Fehntjer dauerte natürlich nicht lange. Wenige Tage später besetzten 600 Mann französische Infanterie die Fehne, um die Rädelsführer des Aufstandes gefangen zu nehmen, deren Namen man unter der Hand erfahren hatte. Die Mehrzahl von ihnen konnten sie verhaften, andere waren geflohen, zum Teil bis hin zur damals britischen Insel Helgoland. Auf Anordnung des Generalgouverneurs der holländischen Departements, Herzog von Plaisance, wurden die Verhafteten am 24. Mai 1811 auf dem Schloß zu Aurich vor ein Kriegsgericht gestellt. Von den 21 Angeklagten, von denen allerdings sieben geflohen waren, stammten sechs von Großefehn, fünf von Boekzetelerfehn, vier von Jheringsfehn, drei von Neuefehn, zwei aus Tirnmel und einer aus Moordorf. Die Anklage lautete: ,,Sämmtlich beschuldigt an den in Aurich, Departement der Ost-Ems, am 11ten April eintausendachthundertundelf, vor dem Palais der Präfektur, bei Gelegenheit der Losung der Seeconscribirten, ausgebrochenen Aufruhr Antheil genommen, und sich sowohl gegen die zur Ausführung dieses Geschäfts verordneten Kaiserlichen Behörde in der Person des Herrn Präfekten, als auch gegen ein Detachement Kaiserlicher Truppen in der Gegend von Timmel und Neuen-Vehn, am l4ten April desselben Jahres, bewafnet zu haben".

    Zwei der Angeklagten, Focke Frerichs Janssen, ein Tagelöhner aus Großefehn, und Johann Reck aus Moordorf wurden zum Tode verurteilt und am nächsten Morgen auf dem Kirchdorfer Feld bei Aurich erschossen. Zwei weitere Angeklagte wurden zu l6jähriger Kettenstrafe verurteilt, die restlichen wurden zwischen einem Jahr und sechs Monaten ,,unter Aufsicht der hohen Polizei und zur Disposition des Gouvernements gestellt". Über die sieben Geflohenen verhängte man in Abwesenheit ebenfalls die Todesstrafe.

    Doch damit war der Zorn der Franzosen noch nicht besänftigt. Da etwa gleichzeitig auch in Amsterdam Unruhen ausgebrochen waren, vermutete Napoleon, daß die Engländer diese Tumulte angezettelt hätten und ordnete deshalb als warnendes Beispiel ein weiteres Strafgericht an. Unabhängig von den nun bereits im Dienst der französischen Flotte stehenden Seeleuten des Kantons Timmel wurden jetzt alle übrigen Schiffsleute dieses Kantons, etwa 300 an der Zahl, zur Armee eingezogen und nach Antwerpen geführt. Die besten Seeleute wurden davon in Toulon auf französische Kriegsschiffe verteilt, der Rest von 137 Mann kam auf die Festung Lille. Durch diese Maßnahme gerieten viele Familien auf den Fehnen in große wirtschaftliche Not, wurde doch damit 117 Frauen und 368 Kindern der Ernährer genommen. Erst im nächsten Jahr sah Napoleon wohl ein, daß seine Reaktion übertrieben gewesen war und erlaubte den Ostfriesen, in ihre Heimat zurückzukehren; am 7. Juli 1812 trafen die ersten Heimkehrer auf den Fehnen ein.

    Was waren dies nun für Männer, die sich der Aushebung zum Dienst in der französischen Flotte gewaltsam widersetzt hatten? Auf dem alten Friedhof in Timmel etwas südlich des Kirchturms finden wir heute noch den Grabstein des Lüppe Gerdes Buß, der auch zu den Angeklagten vor dem Kriegsgericht in Aurich gehört hatte. Er stammte ursprünglich aus Wrisse, wo er 1778 geboren war, und seine Vorfahren lassen sich bis zu dem Vollerbenbesitzer Ino Konken im Jahre 1627 in Holtrop nachweisen, also ein altes ostfriesisches Bauemgeschlecht.

    Da sein jüngerer Bruder den elterlichen Hof übernahm, zog er nach Neuefehn, fuhr als Kapitän auf eigenen Schiffen zur See, erwarb ein umfangreiches Grundvermögen und wurde Vater von neun Kindern. Fünf seiner Söhne wandten sich ebenfalls der Seefahrt zu, von denen zwei vor Jütland ertranken. Lüppe Gerdes Buß verkörperte also den typischen Fehntjer, wagemutig, tatkräftig und unternehmend. Nun aber drohte Napoleons Kontinentalsperre die wirtschaftliche Existenz der Fehne zu vernichten. Unabhängige freie Seeleute, für die es bisher nie einen Militärdienst gegeben hatte, sollten französische Uniformen tragen. Und da die Lebensumstände der übrigen Angeklagten von den Fehnen denen des Lüppe Gerdes Buß ähnlich waren, braucht es uns nicht zu wundern, daß die Fehntjer in Napoleon den Zerstörer ihrer vertrauten Welt sahen. ,,De grote Undögt" wurde er im Volksmund genannt, dem nichts heilig war. Und so setzten sie sich zur Wehr.

    Bis auf den Grabstein des Lüppe Gerdes Buß erinnert heute nichts mehr an die Männer jenes Gefechts zwischen Timmel und Neuefehn. Wäre es deshalb nicht angebracht, ihnen einen Gedenkstein in den Meeden zu setzen, damit diese Ereignisse aus dem Jahre 1811 nicht in Vergessenheit geraten? Im umgekehrten Falle hätten es die Franzosen sicher längst getan.
 

 

 

 

Grabstein   des  Lüppe Gerdes  Buß  auf  dem Friedhof in Timmel. Buß gehörte zu den aufständischen Fehntjern, die 1811 in Aurich vor ein französisches Kriegsgericht gestellt wurden.  Foto: Aden
 
  

 

 

 

 

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