Plattdeutsch
aus der Franzosenzeit
von Gerhard Canzler, Norden
(aus: Ostfreesland Kalender 1986, S.140f.)
,,Nach Überlieferung kaufte Jan Claasen für seinen Sohn einen Rampel-...
."
So beginnt ein Kapitel einer Dorfchronik über die
sogenannte Franzosenzeit. - Was ist hier gemeint?
Bekanntlich erhielt Ostfriesland nach der Niederlage Preußens
eine holländische Besatzung und unterstand ab 1. Januar 1811 dem französischen
Kaiserreich. Von da an hatten auch Ostfriesen in der französischen Armee Militärdienst
zu leisten. Bereits am 11. Februar 1811 begann die erste ,,Aushebung" der
Rekruten. Von 1049 jungen diensttauglichen Leuten des Jahrgangs 1788 sollten
nach französischem Muster 228 durch Los ermittelt werden. Zog jemand eine Zahl
bis 228, so traf ihn das Schicksal, für Napoleon kämpfen zu müssen.
Der französische Begriff für dieses Verfahren lautet
bezeichnenderweise ,,tirage au sort", zu deutsch
"Schicksals-Ziehung". Um dem verhaßten Militärdienst unter Napoleon
zu entgehen, konnte sich jemand freikaufen, indem er gegen Geldzahlungen einen
Ersatzmann stellte. Der bekannte Geschichtsschreiber Tileman D. Wiarda berichtet
als Zeitgenosse über dieses Losverfahren: ,,übrigens waren sowohl
Stellvertretungen (remplacements) als Umtauschungen der Lose (Substitutions)
erlaubt."1) Der Ersatzmann durfte nicht älter als dreißig
Jahre sein und mußte die Körpergröße von mindestens 1,65 m besitzen. Für
den Ersatzdienst erhielt er zwischen 1500 bis 3000 Reichtsthaler. Von 1811 bis
1813 kauften sich laut Wiarda 358 Ostfriesen frei. 2)
Nach Einführung der französischen Amtssprache ab 1810
sind französische Wörter in die plattdeutsche Umgangssprache eingeflossen und
wurden dabei, wie die folgenden Beispiele zeigen, mehr oder weniger stark verändert:
Beck, Laffbeck, Gapenbeck (frz.: bec) Maul, Schnabel (vgl. blaubecken =
gaffen, Maulaffen feilhalten)
Bredullje (frz.: bredouille) = Verwirrung, Schwierigkeit (vgl. être bredouille
= mit leeren Händen dastehen)
Chemisett (frz. chemisette) = Hemd, Vorhemd
Duonen (frz.: douanier) = Grenzer, Zollbeamter
Exkuter (frz.: exécuteur) = (Testaments-)Vollstrecker
Filapper, gebräuchlich u. a. auf Norderney (frz.: phalène - Nachtfalter) =
Schmetterling
Flören (frz.: fleur - Blume) = Flieder
Gloor (frz.: gloire) = Glut, Feuer, Glanz
Kamnett (frz.: cabinet) = Kemenate/Schrank
inkummdeeren (frz.: incommoder) = beschämen, belästigen (dat inkummdeert mi)
Kanapee (frz.: canapé) = Couch, Sofa
Kanker (frz.: cancer) = Brand, Krebs (bei Bäumen)
Kamsool (frz.: camisole) = Weste,
Jacke (vgl. camisole de force = Zwangs-jacke)
keijös (frz.: courageux) = dreist, kühn
Klör (frz.: couleur) = Farbe, Aussehen
Komise (frz.: commis) = Verwaltungsangestellter
kumpabel (frz.: capable) = fähig, imstande
Kumpelment (frz.: compliment) = Gruß, Empfehlung, Schmeichelei
Ledkant (frz.: lit de camp) = freistehendes Bett
mallören (frz.: avoir un malheur) = verunglücken
Mustert (frz.: moutarde) = Senf
Patrullje (frz.: patrouille) = Runde, Streife
Rapailje(-pack) (frz.: racaille) = Horde, Bande, Gesindel
Remonten (frz.: remonte) = junge, noch nicht eingerittene, für das Militär
bestimmte Pferde
reselveert (frz.: resolu) = entschlossen, mutig
mit ´n Schamp (frz.: champ visuel) = im Blickfeld, mit einem Blick
trankiel (frz.: tranquille) = unbesorgt, ohne ängste, entschlossen
(Beachte
Bedeutungsveränderung gegenüber dem Französischen: tranquille = ruhig, still,
friedlich)
verdeffendeeren (frz.: défendre) = verteidigen
Schandarm (frz.: gendarme) = Polizist
Bei den folgenden Wörtern ist die Herkunft aus dem Französischen
kaum noch zu erkennen:
Bilijeeren noch im Leeraner Raum gebräuchlich (frz.: barrière) = Schranke,
Schlagbaum
Passelpander (frz.: participant) = Partner, Teilnehmer
Muusjeblix: plattdeutsche Bedeutung = Pfiffikus, ist möglicherweise von
mousquetaire = Musketier oder von monsieur = mein Herr abzuleiten
Melis (u. a. im Großheider Raum noch erhalten) = Zucker, erinnert an melasse =
(Zucker-)Sirup.
Up Kiewie = aufmerksam, auf Draht sein, könnte mit dem französischen Anruf ,,qui
vive = wer da?" identisch sein.
Die Deutung des Namens ,,Wrantepott" für einen Ortsteil
zwischen Emden und Riepe als Verballhornung der Bezeichnung ,,Französisches
Depot" ist jedoch kaum haltbar. Wie Dr. Ohling in der Rhein-Ems-Zeitung vom
7.2.1951 überzeugend darlegte, umschreibt ,,Pott" einen abgelegenen
Siedlungsplatz ähnlich wie die Bezeichnung ,,Breepott" in der Ostermarsch.
,,Wranten" ist in der Verbindung ,,wrocken un wranten" = zanken,
streiten erhalten geblieben und dürfte somit sehr viel älteren Ursprungs sein.
Das in unserer Zeit immer beliebter gewordene ,,Tschüs"
ist zweifelsohne auf ,,adieu" zurückzuführen.
Auf jeden Fall geben französische Sprachelemente
innerhalb unserer plattdeutschen Mundart nach wie vor Rätsel auf.
Eine interessante Geschichte verbindet sich mit dem französischem Wort ,,vasistas"
= Guckfenster, Fenster-, Lüftungsklappe. Der überlieferung nach fiel französischen
Soldaten unter Napoleon bei ihrem Einmarsch in Deutschland auf, daß die Bürger
in den Städten durch die kleinen Mansardenfenster (Dachfenster) schauten und
verwundert fragten, als sie den Lärm auf der Straße hörten: ,,Was ist
das?" Die Franzosen verbanden mit dieser Frage die ihnen offenbar nicht
bekannten kleinen Dachfenster (Dachfaube) schlechthin. Später bürgerte sich
das in seiner Schreibweise leicht abgewandelte Wort ,,Vasistas" für
,,Guckfenster" ein. 3) - Es gibt heute eine französische
Zeitung mit dem Titel: ,,Le Vasistas".
1) T. D. Wiarda' Ostfriesische
Geschichte, ersch. bei Johann Conrad Mäcken, Leer 1817
2) M. T. Heinze, Die Urkunden des
Notars Viëtor im Archiv des Heimatmuseums Weener. 1999
3) In den späteren Kolonistenhäusern
der Fehntjer um 1900 gab es diese kleinen Guckfenster von der im Hinterhaus
gelegenen Küche aus. Von hier aus konnte die Hausfrau schnell erkennen, ob ein
lieber Gast, der Postbote, der Steuereinnehmer oder ein Bettler zum Haus kamen.
Links zur Plattdeutschen Sprache:
www.ostfriesischelandschaft.de:
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